Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Der Planet kommt ohne den Menschen aus“
Der Astrophysiker Harald Lesch hat zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ein düsteres Bild der Zukunft gezeichnet und natürlich wissenschaftlich belegt. Dabei zog der 63-Jährige nicht nur die Politik in die Verantwortung.
MÖNCHENGLADBACH Er sei „bekennender Hüschianer“, verriet Harald Lesch, bevor er bei seinem Auftritt in der Kaiser-Friedrich-Halle mit zwei Texten von Hanns-Dieter Hüsch seine Zugabe absolvierte. „Posthum“und „Dialog mit der Jugend“des 2005 verstorbenen Kabarettisten aus Moers sind zeitlos, wie die Zuhörer erkannten. Sie beschreiben im Kern, was der Astrophysiker Lesch vermitteln wollte mit seinem Programm „Harald Lesch und die Vier Jahreszeiten im Klimawandel“: Die Menschheit schlittert in eine Katastrophe und ist nicht in der Lage, einen Dialog zu führen, der ein friedliches Leben in und mit der Natur ermöglicht.
Gemeinsam mit dem Merlin Ensemble Wien und dessen Leiter Martin Walch hat der Naturwissenschaftler das Projekt entwickelt, in dem das Werk von Antonio Vivaldi und die von Lesch vorgetragenen wissenschaftlichen Erkenntnisse miteinander verschmelzen. Das Programm wirft einen neuen Blick auf die „Vier Jahreszeiten“: Das aufblühende Leben im Frühling wird zum Entstehen des „blauen Planeten“mit seiner Unbekümmertheit, dem Heranwachsen und dem Entwickeln der Natur. „Nur unser Planet hat den richtigen Abstand zur Sonne und konnte das Wasser halten“, erklärt Lesch. Die Konstellation zu Mond und Sonne ermöglicht den Wechsel der vier Jahreszeiten. Doch jetzt stellt sich die Frage, ob die Jahreszeiten in der bekannten Form überhaupt noch Bestand haben. Die Menschheit heizt das Klima an, der natürliche Treibhauseffekt der Atmosphäre, der erst das Leben ermöglicht, gerät aus den Fugen. Es wird heißer, als es von Natur aus sein sollte. Gletscher schmelzen. „Aus weißem Land wird schwarzes Wasser.“
Der Meeresspiegel steigt, die Erde erwärmt sich. „Wir beobachten Methanbomben, die im Zeitlupentempo explodieren“, führt der 63-Jährige aus. Da erscheint die Musik von Vivaldi auf einmal nicht mehr verklärend, sondern schon fast wie ein Hilferuf im Sommer nach Harmonie. Es wird Herbst und es wird Winter und zugleich wird es bedrohlicher und kälter, gar frostig.
Das Ensemble glänzt mit perfektem Spiel, Lesch nutzt das Spiel als Basis für seine Erkenntnisse. Er stellte fest, reiht Fakten aneinander und kommt zu der eigentlich bekannten Feststellung: „Mit der Natur kann man nicht verhandeln.“Die Naturgesetze gehen keine Kompromisse ein. Wenn der Mensch sich nicht an die Naturgesetze hält, verliert er. Die Gesetze der Natur seien gnadenlos, kennen keine Kompromisse und seien nicht anfechtbar, unterstreicht Lesch: „Aber wir halten an einer Wunderwaffen-Gläubigkeit fest, mit der wir die Natur bezwingen wollen.“Bitterkeit spricht aus dem Wissenschaftler, wenn er moniert, dass alle von Menschen aufgestellten Ziele und Gesetze beim Schutz des Klimas nicht helfen, wenn sich niemand danach richtet. Wissenschaft, das sei aus Sicht vieler „etwas für Kinder“. Die Natur ist demnach ein Spielzeug. „Wäre die Natur eine Bank, wir hätten sie längst gerettet.“
Und das Merlin Ensemble spielt dazu – längst nicht mehr unbekümmert und heiter, sondern aufweckend und aufklärend auf Instrumenten, die größtenteils nach der „kleinen Eiszeit“im 17. Jahrhundert aus langsam wachsendem Ahorn und Fichte aus Südtiroler Wäldern gebaut wurden. Ihren Klang verdanken sie den Baumeistern und der Natur. Sie sind echte Zeugen des Klimawandels und sie machen bei Vivaldis Winter musikalisch deutlich, auf welch dünnem Eis sich die Menschheit bewegt. Es fehlt nicht viel und das Eis bricht. Ein Winter, der zum Sommer wird, mit Überschwemmungen am Nordpol, ist näher, als viele glauben mögen. Nicht ohne Grund hätte die größte Stadt Spitzbergens evakuiert werden müssen. „Der Planet kommt ohne uns aus. Die Natur, die den Menschen erschaffen hat, kann auch ohne Menschen sein.“Lesch entwirft, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, Szenarien von Katastrophen mit sengender Hitze, massiven Überschwemmungen, Gletscherverlusten, Dürren. „Wir haben alle Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun“, betont der Wissenschaftler. Doch nichts geschieht, um dafür zu sorgen, dass der blaue Planet wieder in ein Gleichgewicht mit den natürlich vorgegebenen vier Jahreszeiten kommt. „Eigentlich schade.“