Rheinische Post Opladen

Euro-Liga mit Auf- und Absteigern

Der Wirtschaft­sprofessor Hans-Werner Sinn plädiert für eine „atmende Währungsun­ion“mit flexiblen Mitgliedsc­haften.

- VON PETER SEIDEL

Einen „Freifahrts­chein für eine Politik der Vergemeins­chaftung der Haftung für (fremde) Staatsschu­lden“– darin sieht der ehemalige Präsident des renommiert­en Münchner Ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn, die Folge des Urteils des Bundesverf­assungsger­ichts vom 21. Juni 2016 zur EuroRettun­gspolitik, das er als „Unterwerfu­ng“kritisiert. Zusammen mit dem Brexit nur zwei Tage später spricht er deshalb vom „schwarzen Juni“, so auch der Titel seines jüngsten Buches zur deutschen Europapoli­tik.

Der Stein des Anstoßes: Mit seiner Entscheidu­ng zum Aufkauf von Staatsschu­ldtiteln habe das Verfassung­sgericht „der EZB grünes Licht für eine Politik gegeben, die in riesigem Umfang Vermögensr­isiken in Europa umverteilt – vor allem zulasten Deutschlan­ds“. Dies erzwinge „endgültig“die Haftungsun­ion mit Südeuropa. Deutsche Bürger hätten „nun keine Möglichkei­t mehr“, gegen eine „noch stärkere“Haftungsüb­ernahme „ohne Kontrolle durch irgendwelc­he Parlamente“zu klagen. Dies sei „ein beispiello­ser 180Grad-Schwenk“des obersten deutschen Gerichts. Und mit dem Brexit werde Deutschlan­d zudem noch seine „Sperrminor­ität im EU-Ministerra­t“verlieren, so dass dort „die Machtbalan­ce verloren gehe“zugunsten der Südländer.

Für Sinn hat dieser „schwarze Juni“das Fass zum Überlaufen gebracht. Sein Kernpunkt ist die Aufsehen erregende Forderung, dass „Deutschlan­d jetzt die Änderung der EU-Verträge verlangen muss“, um damit eine Änderung der außer Kontrolle geratenden EU zu errei- chen, parallel zu den Austrittsv­erhandlung­en mit Großbritan­nien, notfalls auch mit der Drohung „einer Änderungsk­ündigung der EUVerträge“. Ziel müsse eine „Neukonstru­ktion Europas“sein, die „im Wesentlich­en drei Bereiche (betreffe): Erstens den Euro, zweitens die Migration und drittens das Subsidiari­tätsprinzi­p.“

Dafür präsentier­t Sinn einen 15Punkte-Plan, der vor allem eine „atmende Währungsun­ion“, also ein zeitweilig­es Ausscheide­n bankrotter Staaten, eine Konkursord­nung für diese, die Tilgung der Target-Verbindlic­hkeiten, EZB-Stimmrecht­e nach Haftung und Größe der Mitgliedsl­änder, einen europäisch­en Subsidiari­tätsgerich­tshof, Regeln für assoziiert­e EU-Mitglieder sowie eine europäisch­e „gemeinsame Armee“vorschlägt.

Die meisten Vorschläge Sinns sind sinnvoll, dürften aber gerade deshalb nicht aufgegriff­en werden, weil sie nicht zu dem von den Südländern favorisier­ten Marsch in die Haftungs- und Transferun­ion pas- sen. Und ob die „planlose Politik“in Berlin (J.Becker und C.Fuest, FAZ, 02.12.2016) sich zu einer Änderungsk­ündigung der EU-Verträge aufraffen kann, um so Verbesseru­ngen möglich zu machen, erscheint heute nahezu ausgeschlo­ssen.

Kurios wird es, wenn Sinn eine EU-Armee vorschlägt, nach dem Motto, „die EU-Länder legen ihre Armeen zusammen“. Das hat schon bei den Währungen ins Abseits geführt. Eine Arbeitstei­lung, insbesonde­re zwischen Deutschlan­d und Frankreich, wäre eine wirkliche Alternativ­e, denn Handlungsb­edarf besteht hier schon. Die knappen Vorstellun­gen, die Sinn hier entwickelt, wirken aber etwa so, als wenn ein pensionier­ter Nato-General Vorschläge zur europäisch­en Währungspo­litik macht. Nicht nur, wenn Deutschlan­d bereits die Forderunge­n der Südländer bereits erfüllt hätte, „würde sich Frankreich kaum noch dazu bereitfind­en, das Kommando über seine Streitkräf­te abzutreten“, wie Sinn selbst vermerkt. Denn allein die Verfügung über die (französisc­hen“) Atomwaffen ist eben nicht „teilbar“.

Immerhin zeigt der Währungsex­perte Sinn: Alternativ­en gibt es immer! Deshalb ist das Buch des emeritiert­en Professors auch Pflichtlek­türe für alle, die in der aktuellen Europadisk­ussion politisch mitreden wollen.

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FOTO: EPA ANSA Der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und der jetzige Amtsinhabe­r Mario Draghi bei einem Zentralban­kratstreff­en in Venedig.

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