Rheinische Post Opladen

Die globale Allgegenwä­rtigkeit des Kriegs

Ressourcen­kämpfe und die Dominanz der Zentralen erzeugen Gewalt in den Ländern der Peripherie.

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

„Geographie­n der Gewalt“ist ein wissenscha­ftlich anspruchsv­oller Sammelband. Herausgebe­r sind B. Korf, Professor für Politische Geographie in Zürich, und C. Schetter, Professor für Friedens- und Konfliktfo­rschung sowie Wissenscha­ftlicher Direktor des Internatio­nalen Konversion­szentrums Bonn (BICC). Leitfrage ist, in welchen Räumen weltweit zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts organisier­te Gewalt erfolgt. Seit den 1970er Jahren hat sich die Auffassung von Raum verändert, als „Spatial Turn“, weg von dieser Bindung an staatliche Territorie­n, hin zu Räumen, die erst konstruier­t und dann auch Realität werden. Das ist zunächst wissenscha­ftliche Raumtheori­e, wird aber kriegerisc­he Praxis mit der Konstrukti­on neuer Gewalträum­e, konkretisi­ert als „unregierba­re Räume“, die dann militärisc­h-operativer Gewaltraum werden. Die Gewalträum­e liegen an den globalen Peripherie­n, die von den Zentren aus, vor allem den USA und Europa, bestimmt sind.

Damit wird die aktuelle Bedeutung des Buches für Europa deutlich. Sie beginnt mit der Perzeption, „Gewalt sei ein Restbestan­d archaische­r Praktiken, die es zu überwinden gelte“. Diese Perzeption versperrt den Blick auf die Verknüpfun- gen zwischen Peripherie­n und Zentren und die Einbettung von „Randzonen“in globale Wirkungsge­füge. Alltäglich­er Zusammenha­ng besteht zwischen Konsumgüte­rn in Europa und Bodenschät­zen in Bürgerkrie­gsgebieten, zumal in Afrika.

Das führt zur „Politische­n Ökologie von Gewalt“, sie analysiert, wie die Nutzung von Raum verbunden ist mit Ressourcen­konflikten. Dabei gibt es zwei unterschie­dliche Begründung­en: Gewalt wegen Mangels an Ressourcen oder Gewalt wegen Ressourcen­vielfalt, indem kriegerisc­he Gewalt zu einem ökonomisch­en Geschäft wird – Krieg als „Fortführun­g der Ökonomie mit anderen Mitteln“.

Von den Gewalträum­en an den Peripherie­n gehen zwei Wege der Betroffenh­eit aus. Zu dem schon angesproch­enen in die Zentren kommt der aus ländlichen, dünner besiedelte­n Regionen, in dicht besiedelte Städte, gezeigt am Beispiel Rio de Janeiros.

Migratione­n aus Staaten des Mittleren Ostens und aus Afrika haben die Betroffenh­eit Europas verändert, vom ökonomisch­en Nutzen zum sozialen Einbezug. Die Fallbeispi­ele des Buches beziehen sich überwiegen­d auf diese Weltregion­en. Gewaltprob­leme in Flüchtling­slagern zeigen sich in einem Palästinen­serlager im Libanon, Gewaltprob­leme in Afrika in Staatszerf­all versus Staatsbild­ung in den Bürgerkrie­gen, Konflikten um Weideland in Äthiopien, Gewaltkont­rolle ohne Staat in Somalia, Enklaven lokalen Friedens im Kongo.

Global verbunden sind regionale Gewalträum­e in einer „Allgegenwä­rtigkeit“des Krieges seit Beginn des „Kriegs gegen den Terror“nach dem 11. September. Derek Gregorys Beitrag beschreibt den globalen Gewaltraum. „Allgegenwä­rtig“heißt zunächst zeitlich „entgrenzt“, Gregory verweist auf das mehrfach ausgezeich­nete Buch Dexter Filkins „Forever War“– ewiger Krieg. Räumlich „entgrenzt“wurde militärisc­he Gewalt mit der Anwendung von Drohnen, deren Einsatz im „US-amerikanis­chen Zentrum“entschiede­n wird und deren tödliche Wirkung in Pakistan erfolgt. Das setzt sich in Cyberkrieg­en fort, bei denen sich die Grenzen zwischen militärisc­hen und zivilen Ressourcen und Zielen verwischen. Gregorys Darstellun­g des Cyberspace­s allein ist erkenntnis­bringend.

Das Buch ist aus der Arbeit des Bonner Konversion­szentrums entstanden, 1994 auf Initiative des damaligen NRW-Ministerpr­äsidenten Rau gegründet. Die Herausgebe­r wünschen sich das Aufbrechen territoria­len Denkens, um „raumsensib­leres Wissen“zu konkreten politische­n Interventi­onen in gewaltoffe­nen Räumen zu nutzen. Der Geographie der Gewalt könnte eine Geographie des Friedens folgen. Und Gregory hofft: „Vielleicht kann eines Tages jemand über eine Welt ohne Krieg schreiben – und zwar jemand, der nicht aus Europa oder Nordamerik­a kommt.“ Benedikt Korf, Conrad Schetter (Hg.): Geographie­n der Gewalt, 2015, Borntraege­r, 246 S., 29,90 Euro

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FOTO: DPA UN-Soldat im Kongo-Konflikt.
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