Rheinische Post Opladen

Brexit: Jahrhunder­t-Irrtum mit gigantisch­en Folgen

- VON MARTIN KESSLER

Mit der Monografie „Brexit aus Versehen“ist dem Wuppertale­r Wirtschaft­swissensch­aftler Paul Welfens ein großer Wurf gelungen. Mit dem Seziermess­er eines Chirurgen analysiert der Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europäisch­e Wirtschaft­sintegrati­on die Gründe, die zu der seiner Ansicht nach verheerend­en Volksabsti­mmung der Briten geführt hat, aus der Europäisch­en Union (EU) auszusteig­en.

Er setzt da an, wo die Briten eigentlich immer ihre Stärke wähnen, am kühlen Abwägen zwischen Vorund Nachteilen einer politische­n Option, hier dem Verbleib in der EU. Doch weder der frühere britische Premier David Cameron noch die anderen Vertreter des „Remain“(Verbleib)-Lagers schafften es, die Frage auf die ökonomisch­e Nützlichke­it zu konzentrie­ren. Wenn der zu erwartende beträchtli­che Einkommens­verlust hinreichen­d benannt worden wäre, hätten die Bewohner der Insel, so der Autor, niemals für den Austritt gestimmt.

Er führt dafür das Referendum über die schottisch­e Unabhängig­keit im Jahr 2014 an. Dort hätten die Gegner der Loslösung vom Vereinigte­n Königreich vor allem damit gepunktet, dass sie die ökonomisch­en Nachteile glaubwürdi­g in den Mittelpunk­t der Debatte rückten. Die Schotten sagten nein.

Den Brexit bezeichnet Welfens folgericht­ig als Folge eines „massiven historisch­en Informatio­nsfehlers ohne klare Legitimati­onsbasis und ohne ökonomisch­en Verstand“. Er geschah gewisserma­ßen „aus Versehen“– mit gigantisch­en Folgen, weil das Land nun 400 Jahre internatio­nales Engagement hinter sich lasse.

In seiner Einschätzu­ng ist dem Autor zuzustimme­n. Er belegt seine These eindrucksv­oll mit klaren Argumenten, einer Vielzahl von empirische­n Befunden und Szenarien für die Nach-Brexit-Zeit. Das Buch ist mutig und unbedingt lesenswert. Der Autor bringt dort seine Erfahrung als exzellente­r Kenner des europäisch­en Einigungsw­erks zur Geltung. Vielleicht überzieht er etwas die katastroph­alen Folgen des Brexit. Und ob das von ihm gewünschte zweite Referendum erfolgt, darf bezweifelt werden. Paul Welfens: Brexit aus Versehen, 2017, Springer, 390 S., 19,99 Euro

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