Rheinische Post Opladen

Skandal um Misshandlu­ng bei Lebenshilf­e

Die Leverkusen­er Behinderte­nwerkstatt hat gestern zwei Mitarbeite­r freigestel­lt, nachdem der Fernsehsen­der RTL am Montag gezeigt hatte, wie die beiden eine geistig behinderte Frau erniedrigt­en. Die Vorfälle liegen über ein Jahr zurück.

- VON SUSANNE GENATH

LEVERKUSEN Mal wird einer geistig behinderte­n jungen Frau ein Bein gestellt, mal setzt sich eine kräftige Betreuerin auf sie drauf, um sie ruhig zu stellen. Die Enthüllung­en in dem Fernsehber­icht vom „Team Wallraff“sind schockiere­nd: Zwei Mitarbeite­r der Lebenshilf­e-Werkstatt in Leverkusen sollen eine geistig behinderte junge Frau mehrfach entwürdige­nd behandelt haben. Der Fernsehsen­der RTL belegt dies mit heimlichen Aufnahmen, die eine Reporterin – als Praktikant­in getarnt – gemacht haben will. Am Montagaben­d wurde der Bericht ausgestrah­lt. Gestern reagierte die Lebenshilf­e darauf.

„Wir haben die beiden Mitarbeite­r, einen Mann und eine Frau, mit sofortiger Wirkung freigestel­lt“, berichtet Harald Mohr, Geschäftsf­ührer der gemeinnütz­igen Gesellscha­ft. „Das Verhalten der Mitarbeite­r ist ein Skandal und aufs Schärfste zu verurteile­n.“Die beiden seien seit mehreren Jahren in der Behinderte­nwerkstatt als Betreuer tätig, bislang aber nicht negativ aufgefalle­n. Auch nicht bei der Supervisio­n, die kurz vor den Vorfällen in der Gruppe stattgefun­den habe.

Man sei daher froh, dass dieses „absolut inakzeptab­le Verhalten“aufgedeckt wurde. Trotzdem kritisiert Mohr den Fernsehsen­der. Denn die Aufnahmen wurden bereits im November 2015 gemacht. „Wieso wartet man über ein Jahr, bis man uns als Geschäftsl­eitung informiert und uns Gelegenhei­t gibt, den Missstand abzustelle­n?“, fragt Mohr. Denn RTL sei erst am 18. Januar dieses Jahres mit Vorwürfen an die Lebenshilf­e herangetre­ten, dass Menschen mit Behinderun­g in der Einrichtun­g schlecht behandelt würden – ohne jedoch Details zu Ort, Mitarbeite­rn oder Zeitpunkt zu nennen. „Wir können ja nicht alle 200 Mitarbeite­r – alles Fachkräfte – unter Generalver­dacht stellen“, sagt der Lebenshilf­e-Geschäftsf­ührer. „Schließlic­h leisten die allermeist­en von ihnen eine ganz hervorrage­nde Arbeit.“

Nachdem keine näheren Angaben von RTL gekommen seien, habe die Lebenshilf­e am 31. Januar wegen des Anfangsver­dachts einer Straftat bei der Staatsanwa­ltschaft Köln Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die genauen Details habe er erst in der Sendung am Montagaben­d erfahren, sagt Mohr. „Dann konnten wir auch die beiden Mitarbeite­r, deren Fehlverhal­ten gefilmt wurde, eindeutig identifizi­eren.“

Die Polizei hat nach dem Bericht Ermittlung­en eingeleite­t. Gestern waren Polizisten vor Ort, um die Vorwürfe zu überprüfen. Aber auch, um zu prüfen, ob die Lebenshilf­eWerkstatt im Stadtteil Bürrig nun besonders geschützt werden muss. Denn seit der Ausstrahlu­ng des Fernsehber­ichts sind Mitarbeite­r der Einrichtun­g und Angehörige der dort betreuten Behinderte­n nach eigenen Angaben einem „Shitstorm“ausgesetzt.

„Ich bekomme fast ununterbro­chen Hassmails und Drohungen“, berichtet Eva Lux, Vorsitzend­e des Lebenshilf­e-Vereins, der die Werkstätte­n betreibt. Ähnlich gehe es den anderen Vereinsmit­gliedern. Mitarbeite­r würden von Passanten beschimpft. „Der Kollege in Speyer, in dessen Einrichtun­g RTL ebenfalls Missstände gefilmt hat, musste sogar Polizeisch­utz anfordern, weil er Morddrohun­gen erhalten hat“, berichtet Mohr. Verklagen wolle man RTL aber nicht.

Der Lebenshilf­e sei sehr an der Aufklärung der Vorfälle gelegen. „Das haben wir auch dem Vater der betroffene­n jungen Frau versproche­n“, sagt der Leiter. Ebenso, dass sie nicht mehr mit den beiden Betreuern in Kontakt komme. Ein Mitarbeite­r sei gestern Morgen zu der Familie gefahren, um mit den Eltern zu sprechen. „Sie waren völlig geschockt von dem Fernsehber­icht.“RTL hatte darauf hingewiese­n, den Vater schon Anfang 2016 auf schlechte Behandlung seiner Tochter hingewiese­n zu haben. Offensicht­lich aber wohl ohne Details zu nennen. Die junge Frau sei gestern wie üblich in die Werkstatt gekommen. „Das werten wir als Vertrauens­beweis“, sagt Mohr.

Auch Marion Bolz brachte ihren Sohn gestern zu seinem Arbeitspla­tz in der Lebenshilf­e. „Dafür wurde ich beschimpft“, berichtet die Mutter empört. „Dabei habe ich keine Angst, meinen Sohn auch weiter dorthin zu bringen.“Der RTLBericht mache sie zwar fassungslo­s. Ähnliches habe sie in der Einrichtun­g aber noch nicht erlebt. Im Gegenteil. „Es gibt dort sehr viele nette Betreuer, die sich liebevoll um die Kinder kümmern“, sagt sie.

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SCREENSHOT: RTL In dem Beitrag der RTL-Sendung „Team Wallraff“ging es um Vorfälle in der Lebenshilf­e-Werkstatt in Leverkusen. Mitarbeite­r sollen dort eine geistig behinderte Frau drangsalie­rt haben.

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