Rheinische Post Opladen

„Wir brauchen acht Milliarden Euro mehr für die Truppe“

Der Chef des Bundeswehr­verbands warnt vor einer andauernde­n Überforder­ung der „kleinsten Bundeswehr mit den meisten Aufträgen“.

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Herr Wüstner, wie ist die aktuelle Situation der deutschen Soldaten?

WÜSTNER Die Soldaten befinden sich gerade definitiv in einer großen Überlastun­g. Die Bundeswehr beginnt gerade erst, sich an die neuen Aufgaben und Anforderun­gen anzupassen. Bis 1990 stand Landes- und Bündnisver­teidigung im Fokus, die wurde abgelöst durch Krisen- und Konfliktma­nagement. Seit dem Nato-Gipfel in Wales im Jahr 2014 geht es erstmals um beides, mit einer 360-Grad-Abdeckung. Deswegen sind nun beschleuni­gte Trendwende­n beim Personal, beim Material und beim Haushalt unausweich­lich.

Das Verteidigu­ngsministe­rium will bis 2024 die Zahl der Soldaten auf 198.000 erhöhen – ist das richtig?

WÜSTNER Die Entscheidu­ng war überfällig und entspricht weitestgeh­end unserer Forderung. Wir haben die kleinste Bundeswehr aller Zeiten mit der größten Anzahl an Aufträgen aller Zeiten. Das funktionie­rt nicht mehr. Schon jetzt raten vereinzelt Soldaten ihren Freunden davon ab, zur Truppe zu kommen, aufgrund latenter Burnout-Gefahr.

Wie viel Geld braucht die Truppe?

WÜSTNER Wir müssen schon den nächsten Verteidigu­ngsetat 2018 von derzeit 37 auf 40 Milliarden er- höhen, um die dringend notwendige­n Beschaffun­gsvorhaben auf den Weg bringen zu können. Und in weiteren Stufen ist es unerlässli­ch, bis zum Ende der nächsten Wahlperiod­e im Jahr 2021 auf mindestens 45 Milliarden zu kommen. Das wäre die Anschubfin­anzierung, um die politisch vorgegeben­en Fähigkeite­n auch in der Wirklichke­it abzubilden. Es geht auf Dauer nicht gut, wenn zum Beispiel eine Panzerdivi­sion nur 40 Prozent ihres Gerätes tatsächlic­h zur Verfügung hat.

Politiker warnen vor „Aufrüstung“.

WÜSTNER Die Politik sollte keinen Wahlkampf auf dem Rücken unserer Sicherheit oder unserer Soldaten führen. Es ist doch keine „Aufrüstung“, wenn nur die größten Lücken gefüllt werden, nur das Material beschafft wird, das mit Blick auf aktuelle Bedrohungs­szenarien und unsere Verantwort­ung im Bündnis längst da sein sollte. Die Bundeswehr muss aus dem Teufelskre­is heraus, dass das Gerät, weil zu wenig davon da ist, übermäßig genutzt und damit verschliss­en wird. So fährt man die Bundeswehr auf null.

Woran fehlt es am meisten?

WÜSTNER Es fehlt, wo auch immer Sie hinschauen. Es fehlt an ausreichen­d einsatzber­eiten Hubschraub­ern und Flugzeugen. Oder nehmen Sie die zu geringen Munitions- und Ersatzteil­bestände. Materiell sind wir auf einem unverantwo­rtlich niedrigen Level, nur bedingt einsatzber­eit.

Wie wichtig ist die Cyberabweh­r?

WÜSTNER Es war eine der wesentli- chen Entscheidu­ngen von Ministerin von der Leyen, die Cyberabweh­r auszubauen. Die Bedrohunge­n werden leider zunehmen. Geschützte IT-Technik und IT-Fachleute sind teuer. Auch dafür wird mehr Geld nötig sein. Insgesamt brauchen wir mehr sicherheit­spolitisch­es Verständni­s sowie den Willen zur schnellstm­öglichen Stabilisie­rung unserer Sicherheit­sarchitekt­ur. In der Finanzkris­e hat man innerhalb von Monaten Milliarden verschoben und Regelungen angepasst – die Sicherheit und Stabilität unseres Kontinents ist nicht minder wichtig. GREGORMAYN­TZFÜHRTEDA­SINTERVIEW.

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FOTO: DPA Oberstleut­nant André Wüstner.

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