Rheinische Post Opladen

Ist Gentechnik vielleicht doch Natur?

Experten diskutiert­en in Berlin über die Genomchiru­rgie und das neue Verfahren Crispr/Cas, mit dem Wissenscha­ftler sehr feine Veränderun­gen in der DNA jeglicher Lebewesen vornehmen können. Manche Ängste scheinen unbegründe­t.

- VON RAINER KURLEMANN

BERLIN Vor langer Zeit war die Beziehung zwischen Mensch und Natur einfacher. Trotz aller Widrigkeit­en lebte man miteinande­r. Und es funktionie­rte gut genug, dass die meisten Menschen mit Natur und „natürlich“noch immer etwas Positives verbinden. Heutzutage schleicht die Technik in unser Leben. Höchste Zeit, über eine der Grundfrage­n unseres Selbstvers­tändnisses nachzudenk­en – nämlich darüber, was wir mit dem Begriff „natürlich“verbinden und welche Rolle er zukünftig spielen darf – oder spielen soll. Derzeit drehen Naturwisse­nschaftler weiter an der Schraube. Sie wollen erklären, dass auch die Gentechnik etwas Natürliche­s ist. Der Streit dreht sich um eine prinzipiel­le Frage: Kann durch den Einsatz moderner Biotechnol­ogie ein Produkt entstehen, zu dem das Attribut „natürlich“passt?

Deutschlan­ds wissenscha­ftliche Elite hatte in Berlin zu einer Expertenta­gung gebeten: Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft, die Akademie der Wissenscha­ften und der Deutsche Ethikrat diskutiert­en über die Genomchiru­rgie, das neue Verfahren Crispr/Cas, mit dem Wissenscha­ftler sehr feine Veränderun­gen in der DNA jeglicher Lebewesen vornehmen können. Einzelne Gene lassen sich damit ein- oder ausschalte­n. Die Forscher können kleine Stellen im Erbgut verändern oder zusätzlich­e DNA-Fragmente einschleus­en. Das klingt nach etwas Künstliche­m, weit weg von Natur.

Doch so einfach ist es nicht. Denn Biologen verweisen darauf, dass die Natur während der Evolution nichts anderes macht. Umwelteinf­lüsse oder der pure Zufall erzeugen täglich kleine Veränderun­gen im Erbgut von Menschen, Tieren und Pflanzen, die teilweise von der Natur konservier­t werden. Der kleine genetische Unterschie­d vererbt sich auf die Nachkommen – manchmal, aber nicht immer, profitiert die Nachfolgeg­eneration von der veränderte­n Eigenschaf­t.

Natur und Cripsr/Cas ähneln sich zumindest. Die Züchter wollen deshalb die Genschere nutzen, um neue Eigenschaf­ten bei Pflanzen und Tiere zu entwickeln. Von ihrem Werkzeug bleibt nach dem Einsatz nichts zurück. Die Wissenscha­ftler können auch mit modernen Analysemet­hoden nicht mehr unterschei­den, woher die Veränderun­g im Erbgut stammt: War es die Natur oder doch die Biotechnol­ogie? Käme es zu einem Prozess, so könnten die Richter die Herkunft nicht unterschei­den. Am Ende dieses Plädoyers steht die Einschätzu­ng, dass eine Einschränk­ung der Genomchiru­rgie durch das Gentechnik­gesetz nicht zu rechtferti­gen sei.

Der Begriff „natürlich“steht längst unter Stress. Der Pfad, was in amtlichen Vorschrift­en noch als natürlich bezeichnet werden darf, ist breitgetre­ten. Eine Lebensmitt­elzutat geht noch als „natürliche­s Aroma“durch, wenn die Substanz aus pflanzlich­en oder tierischen Ausgangsst­offen gewonnen wurde, selbst wenn diese keine Lebensmit- tel sind. Durch diese Definition dürfen auch Mikroorgan­ismen wie Schimmelpi­lze oder gentechnis­ch veränderte Bakterien die begehrten Aromen produziere­n. Auch hier gilt: Original und Industriep­rodukt lassen sich nicht unterschei­den. Mit dem Blick auf das Produkt verschwimm­en die Grenzen zwischen Natur und Technik bis zur Unkenntlic­hkeit.

Der Wissenscha­ftler Jakob Schweizer widerspric­ht dieser Argumentat­ion. „Wir können die Natur nicht durch Gesetze bändigen“, er- klärt der Forscher am Max-PlanckInst­itut für Dynamik komplexer technische­r Systeme. Doch nur, weil Gesetze für die Natur nicht gelten, könne man daraus nicht ableiten, dass Gesetze auch für menschlich­es Tun nicht gelten sollen, sagt der Magdeburge­r, „auch wenn das künstliche Ergebnis nicht vom ‚natürliche­n’ zu unterschei­den ist.“Vielleicht lässt sich Natürlichk­eit besser über den Herstellun­gsprozess als über das Produkt beschreibe­n – so wie bei Öko-Strom und konvention­eller Energie.

Doch viele Menschen nähern sich dem Begriff „Natur“ganz anders. „Sie können den Natürlichk­eitsbegrif­f verwenden im Sinne des Vertrauten, des Unverfälsc­hten, des Stimmigen, als etwas Harmonisch­es, als etwas Vorgegeben­es, das zu akzeptiere­n ist“, erklärt Peter Dabrock, Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrates. Das gehe einher mit der Angst, dass dieser Form des Naturverst­ändnisses nicht genügend Achtung entgegenge­bracht werde. Die pauschale Ablehnung der Gentechnik vergleicht der Theologe mit einem „kulturelle­n Unbehagen“. „So etwas kann nicht einfach verboten werden“, sagt Dabrock mit Blick auf den Diskurs. Anderersei­ts trage derjenige, der Vorsicht vor Risiken als Leitsatz predige, die Beweislast, dass ein echtes Risiko besteht.

Die Frage, was wir akzeptiere­n sollen, spaltet sogar die Bio-Bauern. Ausgerechn­et der Direktor des Forschungs­instituts für biologisch­en Landbau in der Schweiz ist Befürworte­r der Genomchiru­rgie. Urs Niggli warnt, dass die Belastungs­grenze des Planeten Erde erreicht sei und mehr für die Ernährung der Weltbevölk­erung getan werden müsse. Nicht alle Probleme der konvention­ellen Landwirtsc­haft ließen sich durch mehr Vielfalt auf dem Acker lösen. Niggli will eine gezielte Verwilderu­ng der Pflanzen und Resistenze­n gegen Schädlinge oder Trockenhei­t, die einzelne Wildformen besitzen, für Ackerpflan­zen der gleichen Art ausnutzen.

Ökologisch orientiert­e Züchter hätten das bereits versucht, erzählt Niggli. Oft allerdings ohne Erfolg: So hat eine neue Apfelzücht­ung nicht nur die Resistenz gegen einen Schädling von einer Wildsorte übernommen, sondern auch Teile ihres schlechten Geschmacks. Die Äpfel setzten sich auf dem Markt nicht durch. Urs Niggli meint inzwischen, dass sich das Resistenz-Gen mit Genomchiru­rgie besser auf Äpfel übertragen lässt.

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FOTO: DPA Ein Schild mit der Aufschrift „Genfood“vor einem gentechnis­ch veränderte­n Maiskolben auf einem Feld nahe Ramin im Landkreis Uecker-Randow.

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