Die Diamanten von Nizza
Nein, die sind weg, aber ich habe eine Idee, wie ich jenseits der Versicherung eine Art . . . nennen wir es private Teil-Schadensregulierung vornehmen könnte.“
„Hängt es mit dem Film zusammen, den ich dir . . .“
„Monsieur Pigeat, noch bin ich für Sie Signora Castellaci . . .“
Zurück im Haus hatten sie sich geliebt mit einer Innigkeit und Intensität, die er so lange nicht mehr gespürt hatte. Sie hatte ihn tatsächlich in ihr Ehebett geführt, was sie bisher nur sehr selten getan hatte, meist hatte sie ihn oben in seiner Dienstbotenklause verführt, als habe sie ihm immer zeigen wollen, dass trotz aller Tändeleien die Rangunterschiede gewahrt bleiben müssten. Es war ein Tag der Aufwertung seiner selbst gewesen. Aber das war gestern gewesen.
Heute Morgen hingegen erschien sie ihm reservierter, strenger als sonst. „Halten Sie sich an Ihr Drehbuch, Monsieur Pigeat“, schärfte sie ihm ein, als sie sich unten im Flur trafen. Sie wandte sich dann gleich an die übrigen Dienstboten, die sie mit Aufträgen versah.
Das Klingeln an der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken. Jacques straffte die Schultern und ging die Treppe hinunter. Er blickte durch den Spion in ein Gesicht, das inzwischen an Bräune gewonnen hatte und die gleiche Zuversicht ausstrahlte, die sein Gedächtnis abgespeichert hatte.
„Seien Sie willkommen und treten Sie ein, Madame Morales „, sagte er. „Die Signora wird gleich kommen.“
„Sosehr ich mich darauf freue, ist es gar nicht eilig damit, denn heute möchte ich mich ganz Ihnen widmen“, sagte sie in einem forschen Ton, der Jacques Fassade der Gelassenheit auf eine harte Belastungsprobe stellte. „Sie wollten mir doch Ihre Klause zeigen, wenn ich mich recht entsinne.“
Er blieb wie angewurzelt stehen und wartete, bis die Signora sich zu ihnen gesellte. Sie empfing Elena Morales wie eine alte Freundin, nahm sie in die Arme und lobte, dass sie sich so sehr um diese Diamanten kümmere, was man von der Polizei ja nicht sagen könne, die offenbar nichts anderes zu tun habe, „als unsere solidesten und besten Geschäftspartner heimlich, aber nicht so heimlich, dass diese nichts merkten, auszuspionieren.“
Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf, die Versicherungsagentin sah sich in dem aufgeräumten Zimmerchen des Sommeliers um. Eine Weile schaute sie auf das Schwarzweißfoto auf dem kleinen Schreibtisch, das eine Familie vor einem Obst- und Gemüseladen zeigte. Schließlich bemerkte sie süffisant, dass er von seinem Fenster ja nur in den Garten, aber nicht auf den Vorplatz und den Eingangsbereich des Hauses hinaussehen könne, was für seine „Zweitfunktion als Doorman suboptimal“sei: Die Ironie, mit der sie das aussprach, verschaffte Jacques ein unangenehmes Gefühl, als wisse sie genau, welche durchaus außerberufliche Erstfunktion er mittlerweile auch noch in diesem Hause ausübte. Die Versicherungsagentin schaute sich in dem Zimmer um, das so adrett aufgeräumt war, dass ihr sofort klar sein musste, dass hier an diesem Tag keine Entdeckung zu machen war.
Dann blickte Elena Morales ihm direkt in die Augen und fragte kühl: „Wo waren Sie eigentlich am Abend des 4. Mai, Monsieur . . . Wie war doch ihr Name?“
„Pigeat.“Jacques leierte seine präparierte Antwort hinunter. Glücklicherweise war ihm vorgestern noch ein Denkfehler der Signora aufgefallen, die ihn erst angewiesen hatte zu behaupten, er sei mit der Wäscherin Marie ausgegangen. Diese hatte aber schon bei der Polizei eine andere Antwort gegeben. Er und die Signora hatten sich also darauf geeinigt, dass er mit Maries Schwester, die er überhaupt nur einmal gesehen hatte, ausgegangen sei, in ein Bistro. Die Signora hatte Marie Geld zugesteckt, damit diese ihre Schwester entsprechend instruierte. Jacques beschlich das Gefühl, ein andrer würde für ihn sprechen, als er sein Alibi aufsagte.
„Um wie viel Uhr haben Sie dieses Haus verlassen?“, fragte Elena Morales in scharfem Ton.
Jacques tat so, als müsse er überlegen. „Kurz nachdem die Herrschaften zur Oper aufgebrochen waren. So um halb sieben. Ich war um kurz nach sieben in dem verabredeten Bistro.“
Elena Morales lächelte freundlich und ging die Treppe hinunter, gefolgt von der Signora und Jacques. Als sie an der Garderobe ihren azurblauen Sommermantel anzog, wandte sie sich noch einmal zu ihm.
„Wo haben Sie eigentlich das Zauberhandwerk gelernt, Monsieur Pigeat?“
Jacques rang nach Atem und senkte den Blick. Er wusste nicht, worauf sie hinauswollte. Wenn man nicht durchblickte, war es besser zu schweigen, das hatte er in langen Jahren gelernt.
„Die Überwachungskamera hat bis etwa halb zehn einwandfrei funktioniert. Sie zeigt, wie die Putzfrau, die Köchin, die Wäscherin und Sie, Signora Castellaci, mit ihrem Gatten, Ihre Heimstatt verlassen. Nur Sie, Monsieur Pigeat, hat die Kamera nicht mit eingefangen. Aber seit wissen wir ja alle, dass nichts unmöglich ist auf dieser Welt.“
Jacques hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er zwang sich, sich nicht Halt suchend der Signora zuzuwenden, meinte aber physisch zu spüren, dass es ihr ähnlich erging wie ihm.
„Und wo wir gerade bei Zauberei sind. Türsteher kann jeder werden, aber Sommelier und Kellermeister sind geschützte Berufsbezeichnungen, die eine gediegene Ausbildung voraussetzen. Bei Gelegenheit zeigen Sie mir sicher mal Ihre entsprechenden Zeugnisse. Ich darf mich für heute empfehlen.“
„ fluchte Signora Castellaci, als die Versicherungsagentin verschwunden war.
Jacques aber war zu benommen, um zu fluchen. Seine Hände zitterten, als er die Treppe hinaufging und sich in seinem Zimmer aufs Bett legte. Das würde zu ihm und seinem Familienschicksal passen, dass er für ein Verbrechen belangt wurde, das er gar nicht begangen, mit dem er nichts zu tun hatte, eigentlich. Sein Vater war bei einem Autounfall gestorben, den er nicht verschuldet hatte, der Lastwagenfahrer hingegen war mit einer Beule davongekommen – und einer Klage wegen fahrlässiger Tötung. Seine Mutter hatte von der Entschädigung einen wenigstens finanziell halbwegs erträglichen Ruhestand fristen können. Sein Bruder war wie ein Schwein im brutalen Norden von Marseille abgestochen worden. Und er?
Die Visitenkarten waren auf dickem, lohfarbenem Premiumpapier gedruckt. (Fortsetzung folgt)
Harry Potter Porca puttana!“,