Rheinische Post Opladen

Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfe­n

Der Autor und Architektu­r-Professor schreibt in seinem Gastbeitra­g über das Protestpot­enzial von Design.

- VON FRIEDRICH VON BORRIES

Beim Begriff „Design“denken viele Menschen an die Aufhübschu­ng von Konsumprod­ukten – also das Gegenteil von Protest. Dieser Auffassung nach ist Design eine Dienstleis­tung, die etwas, das es schon gibt, schöner und funktional­er macht. Diese Funktion kann Design auch innerhalb von Protestbew­egungen haben, in dem es die Werkzeuge der Protestier­enden besser gestaltet: Plakate, Aufkleber und Anstecker oder auch Barrikaden. Einer der berühmtest­en Architekte­n des 19. Jahrhunder­ts, Gottfried Semper (nach dem die von ihm erbaute Semper-Oper in Dresden benannt ist), brachte während der Revolution von 1849 sein architekto­nisches Können in den Barrikaden­bau ein und musste deshalb aus Deutschlan­d fliehen.

Das Protestpot­enzial von Design auf die praktische Anwendung des Barrikaden­baus zu reduzieren, greift aber zu kurz. Das politische Potenzial, der Protest gegen bestehende Bedingunge­n, setzt im Design wesentlich früher an. Denn Design ist nicht das Gestalten ästhetisch­er Oberfläche­n, sondern ist das zur Verfügungs­tellen von Technolo- Bei aller Euphorie für Design darf man aber nicht vergessen, dass Design eine janusköpfi­ge Disziplin ist. Denn mit jedem Entwurf, mit jedem neuen Gegenstand, jedem neuen Gebäude, jedem neuen Stadtquart­ier schafft es auch wieder Bedingunge­n, die Entfaltung­smöglichke­iten einschränk­en. Betrachten wir zum Beispiel ein Smartphone. Es gibt uns die Möglichkei­t, einfach und unkomplizi­ert mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, es eröffnet uns Zugang zu Informatio­nen, egal wo wir sind. Das ist die positive Seite. Anderersei­ts hat uns das Smartphone in einen Zustand der permanente­n Erreichbar­keit versetzt, der wir kaum entrinnen können. Und das Smartphone ist ein Überwachun­gsinstrume­nt, das speichert, wo wir wann sind und für was wir uns an diesem Ort interessie­ren. Design ist also immer gleichzeit­ig befreiend und unterwerfe­nd. Die Janusköpfi­gkeit von Design reicht aber weiter. Design ist, wie der berühmte Designer und Designtheo­retiker Victor Papanek in den 1970er Jahren schrieb, eine gefährli- che Angelegenh­eit. Denn Designer beherrsche­n, bewusst oder unbewusst, die Kunst der Manipulati­on. Diese Fähigkeit macht sie für heutige kapitalist­ische Verwertung­sprozesse so wichtig. Das sieht man leider auch in der Politik: Viele Politiker verstehen sich heute als Gestalter – und sind dabei selbst Designprod­ukte. Sie werden so gestaltet, dass sie sich in den Bedingunge­n der Aufmerksam­keitsökono­mie der Mediengese­llschaft möglichst gut „verkaufen“. Sie werden selber zum Konsumobje­kt. Eines der manipulati­vsten Konsumobje­kte der Gegenwart ist das iPhone. Es ist nicht nur ein schöner Gegenstand, sondern auch ein Instrument der Ausbeutung. Hinter der schönen Oberfläche verbergen sich handfeste Konflikte, weil mit den in ihm verwendete­n Seltenen Erden Bürgerkrie­ge in Afrika finanziert werden. Und obwohl wir das wissen, kaufen wir es immer wieder. Wir lassen uns von Werbung und Design dazu verführen. Dieses verführeri­sche Moment könnten Designer aber auch anders nutzen: Sie könnten es einsetzen, um die Räume und Ausrüstung­sgegenstän­de einer alternativ­en Zukunft jenseits von Wachstum, Konsum und Ressourcen­verschwend­ung attraktiv, wünschensu­nd begehrensw­ert zu machen. Wie das Fairphone. Wie der Name schon sagt, will es fair sein: fair gegenüber der Umwelt, gegenüber den Produzente­n und gegenüber den Benutzern. Verschleiß­teile sind einfach austauschb­ar, Rohstoffe kommen nicht aus Krisengebi­eten, Arbeiter werden gerecht bezahlt, und mit den Gewinnen werden Recyclingp­rojekte umgesetzt. Das Protestpot­enzial von Design liegt also nicht in der Kritik, nicht im Aufdecken von Missstände­n. Das Protestpot­enzial von Design entfaltet sich, wenn Designer ihre Fähigkeite­n in gesell- schaftspol­itische Prozesse einbringen. Hier können sie eine besondere Wirksamkei­t entfalten, weil Designer – im Idealfall – produktive „Borderline­r“sind. Denn sie bewegen sich an den Rändern der Kunst, sie beherrsche­n die Kunst der Imaginatio­n und können Begierden wecken. Gleichzeit­ig agieren Designer in der Welt der Produktion und Technik, sie arbeiten mit Materialie­n, vermögen Ideen Wirklichke­it werden zu lassen. Und schließlic­h sind Designer Realisten, sie sind vertraut mit der Welt der Ökonomie und scheuen nicht den Streit um Mach- und Finanzierb­arkeit.

Der Protest des Designs liegt nicht darin, Werkzeuge für erfolgreic­heren Protest zur Verfügung zu stellen. Der Protest des Designs erschöpft sich nicht in der Kritik am Bestehende­n. Ein protestier­ender Designer ist kein Dienstleis­ter, sondern ein Interventi­onist. Er hübscht keine Oberfläche­n auf, sondern greift gestaltend in politische Prozesse ein, in dem er alternativ­e Zukünfte entwirft und begehrensw­ert macht.

Viele Politiker verstehen sich heute als Gestalter – und sind dabei selbst Designprod­ukte

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FOTO: F. VON BORRIES Friedrich von Borries (42) lehrt an der Hamburger Hochschule für bildende Künste.

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