Rheinische Post Opladen

Ein gutes Heim

In Wersten leben acht demente Menschen in einer WG. Im Wohnprojek­t der Awo packen alle mit an. Und sie wahren ihre Würde.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Schon der Geruch ist anders. Und die Gesichter sind es auch. Nicht nur der Bewohner. Auch Margarete Kant, die gerade für alle eine Runde Apfelsaft ausgibt, wirkt fröhlich und entspannt. Früher hat sie in einem Altenheim gearbeitet. Hier, in der Demenz-WG, in der sie als Betreuerin streng genommen nur zu Gast ist, macht die Arbeit sie glücklich. Das sieht man ihr auch an.

Heute soll Leni Kullmann die Musik aussuchen, mit der das Kartoffels­chälen später flotter von der Hand gehen wird. „Semino Rossi“, liest sie von der CD ab, die Margarete Kant ihr hinhält, „der ist ja sehr bekannt.“Und der andere, Freddy Quinn? Jaa, sagt Leni Kullmann in diesem gedehnten Tonfall, in dem auch ganz gesunde Menschen vortäusche­n, sich an etwas zu erinnern, von dem sie keine Ahnung haben.

Ein paar Minuten später gibt es keinen Zweifel mehr, dass Leni Kullmann diesen Freddy früher einmal gekannt hat. Der Teil ihres Gedächtnis­ses, der für Musik zuständig ist, funktionie­rt wunderbar. „Junge, komm bald wieder“, singt sie mit klarer, fester Stimme, und „fährt ein weißes Schiff nach Hongkong“. Sie kennt jedes Wort und jede Melodie.

Früher hat sie im Chor gesungen und in ihrem eigenen Haushalt jeden Tag für die Familie gekocht. Auch das hat ihr Gedächtnis abgespeich­ert. Deshalb steht sie nun mit Margarete Kant in der großen Einbauküch­e, die das Herzstück des Gemeinscha­fts-Essraums ist, und würzt das Hackfleisc­h für die Frikadelle­n. Dass sie morgens dafür ein Brötchen eingeweich­t hat, das hat sie zwar vergessen. Aber dass es ins Gehackte muss, weiß sie so mühelos, wie sie mit Freddy „La Paloma“singen kann.

Mit ihren 88 Jahren gehört Leni Kullmann zu der Generation, die der Wohnform „WG“eher skeptisch gegenübers­tand. Auch Eduard Kro- pacza (86) und Johanna Jenkner (91) und die erst 66-jährige Roschanak Jounessi, die aus dem Iran stammt, hätten wohl nie gedacht, dass sie einmal mit fremden Menschen zusammenzi­ehen und gemeinsam Wirsing für’s Mittagesse­n schnibbeln würden.

Dabei scheint es für alle eine ideale Lösung. Jeder hat die vertrauten Möbel von daheim mitgebrach­t, damit das eigene, große Zimmer eingericht­et und das ein oder andere gute Stück in die Gemeinscha­ftsräume gestellt. Wenn für die große Fensterfro­nt Gardinen nötig sind, oder Möbel für den WG-Garten, dann zahlen sie das aus der Gemeinscha­ftskasse, aus der auch die Lebensmitt­el eingekauft werden, und auch zum Einkaufen kann jeder mitgehen, der Lust hat. Den Speiseplan legen sie einmal pro Woche gemeinsam fest, beteiligen sich an den Essensvorb­ereitungen ebenso wie beim Abwasch. Margarete Kant ist dafür da, die Abläufe zu dirigieren und übernimmt die komplizier­teren Dinge. „Wir sind Alltagshel­fer“, sagt sie, „wir helfen, wo es nötig ist, lassen den Bewohnern aber die Chance, all das zu tun, was sie selbst tun können.“

Für ihre Zimmer etwa sind sie selbst zuständig. Fensterput­zen, Staubwisch­en, sogar die Wäsche – in einem Heim schon aufgrund der Hygienevor­schriften so undenkbar wie der Gemeinscha­ftskühlsch­rank. Wer sich nicht mehr alleine helfen kann, der wird natürlich von den Alltagshel­fern, die offiziell Demenzbegl­eiter heißen, unterstütz­t. Aber so lange es geht, ist jeder für die eigenen vier Wände verantwort­lich, und das hat viel mit Würde zu tun, so, wie der eigene Name, der unten am Haus auf dem Briefkaste­n steht.

Die Kirschblüt­e ist keine fidele Senioren-WG, wie man sie aus Fernsehkom­ödien kennt. Auch wenn sie voriges Jahr entschiede­n haben, vom Überschuss in der Haushaltsk­asse keine neuen Balkonmöbe­l zu kaufen, sondern lieber ein paar Tage Urlaub in der Eifel zu machen. Die Bewohner brauchen natürlich auch medizinisc­he Versorgung und Pflege. Der Pflegedien­st der Awo hat deshalb in der WG seine Basis in einem eigenen Zimmer, ist rund um die Uhr für die WG-Bewohner und pflegebedü­rftige Awo-Kunden in der Nachbarsch­aft da.

„Heimweh“singt Freddy Quinn und Leni Kullmann singt inbrünstig mit. Aber im Grunde fühlt sie sich in der WG längst zuhause. Es ist gut, dass man nicht alleine ist, sagt sie, und Eduard Kropacza nickt. „Ach, du bist der Eduard?“, sagt sie überrascht und lächelt dann erfreut, „Das ist aber nett.“

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RP-FOTOS: HANS-JÜRGEN BAUER Kartoffels­chälen in der WG: Johanna Jenkner, Roschanak Jounessi, Leni Kullmann und Eduard Kropacza (v.l.) machen das gern.
 ??  ?? Roschanak Jounessi ist die jüngste in der WG. Die 66-Jährige kümmert sich mit Betreuerin Margarete Kant um die Quarkspeis­e zum Dessert.
Roschanak Jounessi ist die jüngste in der WG. Die 66-Jährige kümmert sich mit Betreuerin Margarete Kant um die Quarkspeis­e zum Dessert.

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