Rheinische Post Opladen

Das Gefängnis, das man bezahlt

Was bewegt Menschen dazu, ihr Geld an Automaten zu verspielen? Unser Autor hat Spielhalle­n besucht, mit einer Suchtberat­erin und Spielern gesprochen.

- VON OLIVER BURWIG

„Gewinnen?“Die untersetzt­e, schwarzhaa­rige Frau schaut mich ungläubig von der Seite an. „Ich gewinne nie. Ich spiele, bis das Geld weg ist, dann gehe ich.“Während sie mir erzählt, dass sie jeden Tag kommt, manchmal kein Geld für Essen übrig hat, muss ich alle paar Sekunden auf einen Knopf drücken. Die bunten digitalen Walzen auf dem Bildschirm drehen sich, kommen zum Stehen, irgendwas leuchtet bunt auf, wieder sind zehn Cent weg. Nach fünfzehn Spielen, kurz bevor sich ihr 20-Euro-Schein komplett im Automaten aufgelöst hat, gewinne ich fünf Freispiele. Die Frau, die mich kurz „ihren“Automaten benutzen lässt, freut sich: „Siehst du, jetzt kannst du weitermach­en.“

Bis man es irgendwann nicht mehr kann. Das Suchtberat­ungszentru­m der Diakonie Düsseldorf zählt jedes Jahr etwa 250 Klienten, viele von ihnen Angehörige, die nach einem Weg suchen, aufzuhören. Manche kommen, weil sie hoch verschulde­t sind, andere weil sie ihren Partner verloren haben. Einige lassen sich widerwilli­g von Angehörige­n mitschlepp­en. „75 Prozent der Spielsücht­igen sind Automatens­pieler“, sagt Diakonie-Sachgebiet­sleiterin Anja Vennedey. Die meisten seien 25 bis 40 Jahre alt, nur etwa ein Zehntel von ihnen weiblich. Die Suchtmitte­l der Frauen seien oft Medikament­e, ihre Sucht „stiller“. Auf Männer übe das Geld einen größeren Reiz aus, obwohl es darum gar nicht geht. Vennedey hat vier Merkmale der Spielsucht ausgemacht: Man hört auf, wenn kein Geld mehr da ist. Verlieren ist eine persönlich­e Niederlage, die man mit Spielen wettmacht. Das Spielen wird wichtig. Und schließlic­h: Man spielt heimlich.

Das beschreibt ein Leben, das Jakub Marcinek, der seinen wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, einmal gelebt hat. Ob- wohl er gut verdiente, hat der 37jährige polnischst­ämmige Düsseldorf­er gespielt, fuhr mit Sonnenbril­le und Basecap getarnt von Oberbilk zur Spielhalle nach Derendorf. Er begann mit dem Spielen nach einem sogenannte­n Initialgew­inn. „Der Teufel lässt einen gewinnen“, sagt Marcinek. Ausgehend von seinem Spielverha­lten, das ihn und seine Ex-Frau etwa 20.000 Euro gekostet hat, müsste man ihn einen „funktionie­renden Spieler“nennen, obwohl er fast immer betrunken war, wenn er in die Spielhalle ging. Nie habe er Schulden angehäuft, er sei immer zur Arbeit gegangen und konnte die Sucht jahrelang geheimhalt­en. Nur seine Freunde wussten davon, waren selbst süchtig, und liehen ihm manchmal etwas. „Spielsucht ist wie ein Gefängnis“, sagt Marcinek. „Man ist ein freier Mensch, aber man ist nicht frei. Man denkt nur an eine Sache, und träumt davon.“

Ein prägendes Erlebnis nimmt ihn sichtlich mit, wenn er davon erzählt: „Ich war auf einer Familienfe­ier. Ich erzählte allen, dass ich noch mal kurz nach Hause muss, weil ich ein Fenster aufgelasse­n hätte.“Eine Viertelstu­nde später saß er vor einem Automaten, mit Tränen in den Augen. Bald darauf begann er seine Therapie.

Marcinek redet heute offen über seine Sucht, muss aber nach drei Jahren Abstinenz immer noch den Blick abwenden, wenn er an einer Spielhalle vorbeigeht. Und davon gibt es viele in Düsseldorf, oft nur ein paar Dutzend Meter voneinande­r entfernt. Kaffee gibt es dort umsonst, aus dem Vollautoma­t. Rauchen darf man nicht, ein älterer Herr neben mir steckt sich aus Versehen doch eine an. „Na, schmeckt die Zigarette?“, fragt die Angestellt­e gütig lächelnd. Sie kennt ihn offensicht­lich, er drückt seine Zigarette wieder aus. Ein schlaksige­r junger Mann, der vielleicht 20 sein könnte, rasselt mit Händen voller Kleingeld und läuft nervös zwischen vier oder fünf Automaten hin und her. Ein etwa 35-Jähriger kommt mit seinem Kaffee zum Spielautom­aten, an den ich mich gesetzt habe, unwissend, dass es „seiner“war. „Kein Problem“, sagt er. Er habe heute schon 300 Euro gewonnen, Spielen sei ein guter Ausgleich für seine Arbeit. Wie lange er schon da sei? „Fünf oder sechs Stunden vielleicht.“

Natürlich gibt es kein System, keine Glückssträ­hne, keine Tricks, mit denen sich häufiger gewinnen lässt, als der Zufall es will. „Jeder Abhängige glaubt, schlauer als der Automat zu sein“, sagt Suchtberat­erin Vennedey. Einige nutzten Zettel, auf denen sie notieren, wann der Automat den Jackpot ausschütte­n müsste. Viele seien gebildet, die Spielsucht ziehe sich vertikal durch die Gesellscha­ft. Eine Besonderhe­it hat sie aber ausgemacht: „Spieler sind im Vergleich zu beispielsw­eise Alkoholabh­ängigen eher Blender.“

Ganz anders die freundlich­e schwarzhaa­rige Frau. Sie erklärt mir geduldig, wie der Automat funktionie­rt, wann man die Chance auf ein Freispiel hat und wo man die Einsätze erhöht, um die mögliche Gewinnsumm­e zu steigern – was sie nie tut. Sie gewinnt ja nie, das würde ja noch mehr Geld kosten. Irgendwie hat sie den Automaten dann doch verstanden.

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