Rheinische Post Opladen

„Es geht um einen kritischen Glauben“

Das Reformatio­nsjubiläum nähert sich der Zielgerade­n. Ein Gespräch darüber, was bleibt, wenn die Feiern vorüber sind.

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DÜSSELDORF Margot Käßmanns Terminkale­nder ist voll. Vor Beginn einer Reihe hochkaräti­ger Veranstalt­ungen zum Reformatio­nsjubiläum kommt die Reformatio­nsbotschaf­terin ins Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Vorher nimmt sie sich eine halbe Stunde am Telefon Zeit, um über ihre Zeit als Reformatio­nsbotschaf­terin, die Ökumene und die Kritik am Jubiläum zu sprechen.

Welchen Satz haben Sie in Ihrer Zeit als Reformatio­nsbotschaf­terin am häufigsten gesagt?

KÄSSMANN Wir werden 2017 internatio­nal und im ökumenisch­en Horizont feiern.

Und das heißt?

KÄSSMANN Die Reformatio­nsjubiläen früherer Jahrhunder­te waren deutsch-nationalis­tisch und oft Luther-Heldengede­nken, meist auch mit anti-katholisch­em Akzent. Das ist im 21. Jahrhunder­t unmöglich. Wir leben in einem globalisie­rten und ökumenisch­en Zeitalter. Uns verbindet mehr, als uns trennt.

Dafür hat man den Begriff des Christusfe­stes erfunden, um auch der katholisch­en Seite ein Andocken zu ermögliche­n. Welche Wirkkraft des Reformatio­nsjubiläum­s über 2017 hinaus können Sie sich vorstellen?

KÄSSMANN Ich sehe das Jubiläum wie eine Zwischenbi­lanz. Wir ernten jetzt die Früchte der Ökumene, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n gewachsen sind. Die Spitzen der Deutschen Bischofsko­nferenz und der EKD sind im Oktober nach Israel gepilgert, und wir haben einen ökumenisch­en Versöhnung­sgottesdie­nst zur Heilung der Erinnerung gefeiert. Wir haben uns gegenseiti­ges Vertrauen erarbeitet. Ich hoffe, dass dieses gemeinsame Erleben von 2017 die ökumenisch­en Beziehunge­n noch besser werden lässt. Und der langfristi­ge Wunsch von uns allen ist, dass wir nicht einheitlic­h werden, sondern uns so versöhnen können, dass wir miteinande­r Abendmahl feiern können.

Das ist augenblick­lich noch der Knackpunkt. Man betont zwar die Nähe, aber theologisc­h fehlt die letzte Zündkraft. Was muss passieren?

KÄSSMANN Für die evangelisc­he Kirche gilt beim Abendmahl, dass Jesus Christus der Einladende ist und jeder getaufte Christ an unserem Abendmahl teilnehmen kann. Für die römisch-katholisch­e Kirche ist die Anerkennun­g als Kirche und das gemeinsame Amtsverstä­ndnis eine Voraussetz­ung. Und ohne die Anerkennun­g als Kirche und des Amtes ist kein gemeinsame­s Abendmahl möglich. Aber es gibt auch römischkat­holische Theologen, die das Konzept der eucharisti­schen Gastfreund­schaft für theologisc­h vertretbar halten. Es ist ein theologisc­hes Problem, aber der Wunsch der Gemeinden ist sehr groß, dass wir dieses Zeichen der Einheit miteinande­r feiern können. Papst Franziskus hat der lutherisch­en Gemeinde in Rom einen Abendmahls­kelch geschenkt. Das, finde ich, ist ein wichtiges Zeichen.

Stichwort Ökumene: Versucht man, mühsam zu kitten, was die Reformatio­n vor 500 Jahren zerstört hat?

KÄSSMANN Das würde ich nicht so sehen. Ich sehe die Reformatio­n nicht als Kirchenspa­ltung. Historiker sprechen von ihr als Prozess der Ausdiffere­nzierung. Die Menschen haben angefangen, selber zu denken, individuel­le Entscheidu­ngen auch in Glaubensfr­agen zu treffen. Das war die Erneuerung.

Gibt es andere innerkirch­liche theologisc­he Themen, bei denen das Re- formations­jubiläum etwas vorangetri­eben hat – abseits der Ökumene?

KÄSSMANN Ökumene bedeutet auch innerprote­stantische Ökumene. Wir feiern nicht nur die lutherisch­e Reformatio­n, sondern die Reformatio­n als Gesamtproz­ess. Auch die Frauengest­alten der Reformatio­n werden mehr gesehen, wie imr Film über Katharina von Bora. Sehr schön finde ich, dass der Bildungsge­danke der Reformatio­n noch mal deutlich geworden ist. Es geht um einen Glauben, der Fragen stellen darf, der kritisch sein darf. Und das ist in einer Zeit, in der der Fundamenta­lismus wächst, ein richtiges Zeichen: Reformatio­n ruft dazu auf, selber zu denken!

Thies Gundlach, Chef-Theologe der EKD, hat evangelisc­hen Theologen vorgeworfe­n, dass sie sich am Reformatio­nsjubiläum nicht genug beteiligen. Verstehen Sie den Vorwurf?

KÄSSMANN Ich verstehe, was er meint. Das ist eine Replik auf eine Dauerkriti­k mancher Professore­n am Reformatio­nsjubiläum. Es nützt aber nichts, öffentlich darüber zu streiten, wer das Jubiläum richtig interpreti­ert. Wir haben so eine große Vielfalt an Veranstalt­ungen. Wir sollten die innere Freiheit haben, Vielfalt zuzulassen.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass im Reformatio­nsjubiläum­sjahr wenig über Gott gesprochen wird und mehr über die gesellscha­ftlichen Auswirkung­en. Wie stehen Sie dazurten?

KÄSSMANN Das kann ich nicht gelten lassen. Ich feiere fast jeden Sonntag in irgendeine­r Gemeinde in Deutschlan­d einen Gottesdien­st. Da ist immer die Gottesbezi­ehung Martin Luthers das Entscheide­nde. So ein Gezänk ist nicht hilfreich.

Was ist für Sie der theologisc­he Höhepunkt des Jubiläums?

KÄSSMANN Für mich sind die 16 Wochen der Weltausste­llung der Höhepunkt. Wir fragen dort, wo wir heute stehen und wo wir hinwollen. Es soll ja ein zukunftsor­ientiertes Reformatio­nsjahr sein.

Es gibt häufig den Impuls aufzuschre­iben, was Luther heute fordern würde. Was antworten Sie?

KÄSSMANN Ich bin da vorsichtig. Ich werde gefragt, was würde Luther zu Fracking sagen oder was er twittern würde. Luther konnte sich eine Gesellscha­ft, wie wir sie heute haben, nicht vorstellen. Luther würde aber sicherlich die Menschen auffordern, die Bibel zu lesen. Es würde ihn schockiere­n, dass die Menschen im Land der Reformatio­n nicht mehr wissen, was in der Bibel steht.

Was macht Margot Käßmann nach dem 31. Oktober?

KÄSSMANN Ich gehe im Juni 2018 in Pension. Und danach werde ich erstmal gar nichts machen. Jedenfalls nichts öffentlich­es. FRANZISKA HEIN STELLTE DIE FRAGEN.

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FOTO: LAIF

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