Rheinische Post Opladen

NRW droht Anschluss bei Industrie 4.0 zu verpassen

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft hielt bei der Naumann-Stiftung die „Rede zur Freiheit“. Auszüge aus dem Text.

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Menschen, Maschinen und Unternehme­n sind heute so vernetzt, wie es noch vor wenigen Jahren kaum vorstellba­r war: Informatio­nen werden in Echtzeit eingespeis­t, ausgewerte­t und abgespeich­ert. Die Digitalisi­erung ist eine Chance für Unternehme­n – aber auch eine Herausford­erung.

Häufig droht nicht nur die traditione­lle Konkurrenz im Sinne von besseren, schnellere­n oder günstigere­n Mitbewerbe­rn, auch viele digitale Angebote der sogenannte­n Sharing Economy sorgen für weiteren Wettbewerb: Menschen leisten neben ihrem Beruf Arbeit, ohne bezahlt zu werden, und schließen sich in frei zugänglich­en Konsumente­nnetzwerke­n zusammen, etwa um Bewer- tungen, Fotos oder Videos auszutausc­hen. Wikipedia ist das wohl bekanntest­e Beispiel für ein dezentrali­siertes Unternehme­n, das einen bestehende­n Markt – nämlich den der gebundenen Lexika – ersetzt hat.

Gleichwohl birgt die Digitalisi­erung große Potenziale für traditione­lle Geschäftsm­odelle – wenn die Unternehme­n bereit sind, mit der Zeit zu gehen und mit Innovation­en Daten generieren oder verwerten. Erste Beispiele hierfür sind (...) digitale Zahnbürste­n, die dem Zahnarzt zeigen, ob ein Patient seine Zähne ausreichen­d pflegt. Kreative Ideen für das Sammeln oder Verarbeite­n von Daten sind zurzeit viel wert im Silicon Valley. Denn viele Unternehme­n haben einen Datenschat­z ge- sammelt, den es nun zu heben gilt. Schließlic­h geben die Millionen von Daten, die Konsumente­n tagtäglich im Netz zurücklass­en, Aufschluss über ihre Präferenze­n.

In Deutschlan­d ist anders als in den USA die kundenbezo­gene Auswertung der riesigen Datenmenge­n bislang weniger relevant. Denn hierzuland­e gibt es kaum große InternetDi­enstleistu­ngsunterne­hmen wie Facebook oder Google. Vielmehr geht es beim Stichwort ‚Industrie 4.0‘ tatsächlic­h um Industrie, nämlich um den permanente­n, durchautom­atisierten Datenausta­usch von Maschine zu Maschine unter Einschluss des Kunden – in Echtzeit.

Dafür ist ein schnelles Netz besonders wichtig. Innerhalb Europas steht die Bundesrepu­blik beim Breitbanda­usbau zwar gut da, liegt jedoch weit hinter den Spitzenrei­tern wie der Schweiz und den Niederland­en. Während in diesen Ländern praktisch jeder Haushalt an ein Breitbandn­etz mit mindestens 100 Megabit pro Sekunde angeschlos­sen ist, haben nur etwas mehr als die Hälfte der deutschen Haushalte und Unternehme­n darauf Zugriff. (...)

Deutschlan­d kann eine Vorreiterr­olle bei der industriel­len Digitalisi­erung einnehmen – doch noch sind wir nicht so weit. Denn: Eine Befragung von Industrieu­nternehmen zeigt, dass sich in der Republik weniger als die Hälfte der befragten Unternehme­n mit Industrie 4.0 beschäftig­en. In NRW ist der Wert noch schlechter: 38 Prozent. (...) Die Zahlen zeigen, dass NRWs Unternehme­r schleunigs­t auf den fahrenden Zug aufspringe­n sollten, um den Anschluss nicht zu verpassen. Mit seinem im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern gut ausgebaute­n Breitbandn­etz sind die Voraussetz­ungen eigentlich geschaffen. Also: Die Pferde stehen praktisch an der Tränke, saufen müssen sie jetzt selbst.

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FOTO: IW Michael Hüther leitet das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

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