Der Li-La-Laune-Bär aus Saarlouis
Er ist Merkels wichtigster Minister, schläft wenig, arbeitet viel und lebt allein. Doch Kanzleramtschef Peter Altmaier hat auch eine heimliche Seite.
SAARLOUIS Drei regionale Lionsund Rotary-Clubs haben sich erstmals zusammengefunden, um für diesen Gast ein großes Publikum zu bilden, doch bei der Begrüßung passiert der Patzer: Den „Chef der Staatskanzlei“heißt der Clubvorsitzende willkommen. Verlegen verbessert er sich. Denn hier im Landhotel Rauber in Oberthal steht nicht der Kanzleichef der kleinen SaarRegierung, hier ist der Manager der großen Regierungszentrale aus Berlin eingetroffen. Dabei hat es im Leben des Peter Altmaier (58) sicher Momente gegeben, da wäre er fasziniert von der Vorstellung gewesen, einmal für die Landesregierung in Saarbrücken arbeiten zu dürfen. Doch nun ist er der wichtigste Bundesminister für das Funktionieren der Regierungsgeschäfte einer Kanzlerin von Weltformat.
„Unser Peter“, sagen sie in seiner Heimat Saarlouis in einem Tonfall zwischen unbändigem Stolz und fassungslosem Staunen. Es war ja auch kaum zu ahnen: dass ein Mann mit Hasenscharte so telegen in den populärsten TV-Talks rüberkommen würde. Dass einer mit der Ausstrahlung eines Li-La-Laune-Bärs einen derart fordernden Job in der ersten Reihe bekäme. Dass ein alternder Nachwuchspolitiker, der so lange in der Warteschlange der CDU stand, von den Medien mal als „Alleskönner“umschrieben werden würde, wenn er aus dem Schatten der Hinterbänkler ins Scheinwerferlicht der großen Politik tritt.
Ist da unterwegs was auf der Strecke geblieben? Wenn er um kurz nach sechs frühstückt, ist er allein. Wenn er dann mit dem Koordinieren von Flüchtlingspolitik, Ministerien, Bund-Länder-Beziehungen, Regierungsinitiativen, Nachrichtendiensten und auch mit dem Aktenstapel für die Kanzlerin, wenn er also mit allem fertig ist, was den Adrenalinspiegel hochhält, dann ist da auch keiner, mit dem er wieder runterkommt. Selbst für seine legendären Abendeinladungen mit Selbstgekochtem in seiner Berliner Wohnung reicht die Zeit nicht mehr. Macht Macht also einsam?
„Der liebe Gott hat es so gewollt, dass ich alleine durchs Leben gehe“, hat Altmaier schon vor Jahren in einem Interview gesagt. Das scheint für ihn nicht bedauerlich zu sein. Es ist eher eine Erklärung, warum ihm die vielen Veranstaltungen an ver- meintlich „freien“Wochenenden, die Verhandlungen, Beratungen und Koalitionstreffen bis zum frühen Morgen so wenig ausmachen. „Das passt“, sagt er. Und dass er von Natur aus mit wenig Schlaf auskommt, so wie die Kanzlerin, das passt noch mehr.
Ein Minister, der vor allem funktioniert? Der „Ochsentour“sagt, um seinen Weg vom Plakatekleber über den Orts-, Kreis- und Landesvorsitz bei der Jungen Union zu beschreiben – und das Wort sofort wieder zurückzunehmen: Nein, „Ochsen- tour“, das klinge zu negativ. Dabei habe es ihm doch Spaß gemacht. „Da habe ich damals Flugblätter verteilt“, sagt Altmaier und weist auf ein paar Poller vor dem Gymnasium am Stadtgarten in Saarlouis. „Und da habe ich oft meine Hausaufgaben gemacht“, fügt er hinzu und zeigt auf eine Bank im Park. Wenn es bei der Jungen Union zu spät geworden war, und er vor dem Unterricht noch schnell einen Aufsatz schrieb.
Politik hatte für ihn immer schon Priorität. Sein Vater, Bergmann wie dessen Vorfahren, war politisch interessiert, las eine ganze Reihe von Tages- und Wochenzeitungen, die dann auch der kleine Peter studierte. Seine Mutter hatte Akademikerin werden sollen, in den Nachkriegswirren dann aber Geld verdienen müssen. So war denn der Sohn mit seinem Werdegang die logische Folge dessen, was die Eltern auch gewollt hätten: studieren, Jurist und EU-Beamter werden, im Job Französisch und Englisch perfektionieren und privat auch noch Niederländisch dazu. Alles fließend.
Dabei war Deutsch seine erste Fremdsprache. Das bricht durch, wenn er „dahemm“die Zuhörer auffordert, sich von Umfragen „nicht wurres machen“zu lassen, wenn er von „Angscht“vor Veränderungen spricht und die „nägschte“Zukunft beschreibt, in der Pflegeroboter selbstverständlich sind und er seinem Exemplar im Alter dann sagen werde: „Ab in die Kich!“Das ist die Stelle, an der er in seinen Reden auch seine Mutter einbaut, die nach einem schweren Sturz nun drei Schrauben im Nacken habe und deshalb mit fast 88 nicht mehr Auto fahren könne. So wirbt er mit ihr fürs autonome Fahren.
Autonom gefahren werden, das war eigentlich nicht sein Ding. Altmaier stand anfangs für Rebell. Inmitten der SPD-Begeisterung um Willy Brandt gründet der Gymnasiast die Schülerunion in Saarlouis – auch aus Protest gegen verbreitete linke Strömungen unter Lehrern und Mitschülern. Und als er 1994 endlich in den Bundestag einzieht, ist er zwar schon zu alt für die „junge Gruppe“, aber nicht für die „jungen Wilden“. Die wollen Vergewaltigung in der Ehe bestrafen, die Staatsbürgerschaft Richtung Integration öff- nen und die Sprachlosigkeit gegenüber den Grünen beenden.
Altmaier gehört zur „Pizza-Connection“, die in den 90ern schon sehen will, was in Schwarz-Grün geht. Und der Altmaier, der sich heute gegen alle „Merkel muss weg“-Rufe stemmt, der weiß am Ende seiner ersten Wahlperiode: Kohl muss weg. Neben Friedbert Pflüger und Hermann Gröhe erscheint er auf den Titelseiten, als vom „Putsch gegen den Kanzler“berichtet wird. Das Kanzleramt selbst hat es offenbar lanciert, um den Widerstand zu brechen. Am Ende ist Kohl Geschichte.
Zwei Jahrzehnte später ist Altmaier eine öffentliche Person. Beim Einkauf am Samstagmorgen im örtlichen Globus-Markt steht er unter Beobachtung. „Ja, saarländische Eier sind gut“, ruft es hinter ihm, wenn er nach einer Packung greift. Der eine bestellt Grüße von seinem Schwager, die andere will Rat in einem komplizierten Fall. „Das kann ich nicht, dann heißt es, die Bundesebene mischt sich in die Landespolitik ein“, sagt der Kanzleramtsminister und stellt sich an der Fleischtheke an. Minuten braucht der Kun- de vor ihm für ein paar Scheiben Wurst. Altmaier wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Hat bei ihm in der großen Politik ja auch funktioniert. Sogar als Saarländer, sogar als Mann, sogar als Mittvierziger. Will sagen: dass der Außenseiter für keine der üblichen Proporz-Tickets „wichtiger Landesverband“oder „Frau“oder „jung“infrage kam.
Mit dem Augenblick der Ernennung zum Bundesminister ändert sich Altmaiers Leben. Apparate neigen dazu, die Terminkalender der Chefs nach optimalen Verläufen zu füllen. Da kann es selbst für die Pin- kelpause knapp werden, wie er sich während der Fahrt zwischen zwei Terminen erinnert. Außerdem brauche er Denk-Pausen: „Es ist doch manchmal wichtig, einfach mal über eine Sache nachzudenken.“Das ist die Stelle, an der er das Wort „Escape“in den Mund nimmt: Flucht. Einer wie er, der scheinbar perfekt im Räderwerk der Regierung rotiert, der genießt es ganz besonders, einfach mal abzutauchen. Anzug gegen Jeans zu tauschen, nach Ludwigslust zu fahren und in das Wirken der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin einzutauchen.
Wer ihn über die Jahrzehnte verfolgt hat, kann sich das gut vorstellen. Jacob Fuhrmann etwa, der mit Altmaier zur Schule gegangen ist und der nun mit seiner Bürgerinitiative Front gegen Windräder macht. Früher sei der Peter bei seinen Reden, nun ja, nicht so überzeugend gewesen. Aber wenn er nun mühelos in Deutsch und Französisch die Menschen mitnehme, da kämen nicht nur seine saarländischen Freunde auf den Gedanken: „Der kann auch Kanzler.“Einschränkend kommt sofort ein „aber dafür fehlt ihm vermutlich die Ausstrahlung“hinzu. Allerdings: Auch im saarländischen Überherrn, beim Fischessen mit CDU-Leuten im Gasthaus Häsfeld, mischt sich in die Bewunderung eine dumpfe Vorahnung. Mit „Grenzen zu“-Parolen kann man bei Saarländern zwar nichts gewinnen, dazu leben hier Franzosen, Luxemburger und Deutsche zu intensiv zusammen. Doch die CDUBasis nimmt eine Anti-MerkelStimmung wahr.
Altmaier kämpfte als „junger Wilder“für eine CDU-Programmatik, die er mit Merkel bekam. Und die ihn vielleicht deshalb als engsten Vertrauten wählte. Sein Schicksal ist wie kaum ein anderes mit dem seiner Chefin verknüpft. Er wird wieder kämpfen müssen, nicht nur auf Bundesebene. So dürften die Medien genau verfolgen, wie zwei Bundesminister in den Clinch gehen: Der Saarländer und SPD-Justizminister Heiko Maas will dem Saarländer und CDU-Kanzleramtsminister Peter Altmaier das Direktmandat in Saarlouis abnehmen. Der Schwarze will den einstmals roten Wahlkreis halten. Das könnte knapp werden. Aber wirklich nervös wirkt er nicht. Auch nicht, wenn es um den „Schulz-Effekt“geht und um die Möglichkeit, nach der Wahl im Herbst nicht mehr zu regieren.