Rheinische Post Opladen

Auf der Bühne packt Jamal seine Wut in eine Bombe

- VON MONIKA KLEIN

LEVERKUSEN Prüfende Blicke nach rechts und links, dann holt Jamal die Spraydose aus seinem Rucksack. Er sprüht seine Gedanken und vor allem seinen Frust und seine Wut an die Wände. In der Schule hat er die letzte Verwarnung bekommen mit der Auflage, sich jeden Tag für eine halbe Stunde bei Vertrauens­lehrer Matthieu zum Gespräch einzufinde­n. Sonst fliegt er. In den Treffen mit dem älteren Mann lässt der sonst so verschloss­en wirkende Jugendlich­e und potenziell­e Attentäter kurze Blicke in seine Gedankenwe­lt, in sein Innerstes zu.

Das Publikum von KulturStad­tLev wurde Zeuge dieser vertraulic­hen Gespräche auf der Bühne des Forum-Studios. Und dort bröckelt allmählich das erste Urteil, das man sich nach den beginnende­n Sprühaktio­nen und den verstockte­n, widerspens­tigen Antworten des Jungen gebildet hat. Allmählich wird deutlich, dass die Welt doch bedeutend komplizier­ter ist und sich nicht so einfach in Schwarz und Weiß aufteilen lässt. Dass man es hier nicht mit einem dummen, hoffnungsl­osen Jungen zu tun hat, sondern mit einem sehr gut informiert­en und nachdenkli­chen Heranwachs­enden, für den die Suche nach seiner eigenen Identität und seinem Platz in der Gesellscha­ft extrem schwierig ist. Letztlich sind es Verfehlung­en der Erwachsene­n, der Gesellscha­ft und verlogenen Politik, die Jamal so wütend machen, dass er eine radikale Aktion plant. Nicht aus religiösen Motiven, wie die Schulleitu­ng vermutet, sondern weil er ein Zeichen setzen will und weil er, wie viele junge Menschen seines Alters, eine gewisse Faszinatio­n des Todes empfindet und sich so schwer tut mit der Liebe. „Jamal“ist eine überaus gelungene niederländ­ische Produktion des Amsterdame­r Theaters „De Toneelmake­rij“(Inszenieru­ng und Text: Daniel van Klaveren) in deutscher Sprache, die einen weiteren Aspekt des KSL-Spielzeitt­hemas „Auf der Suche“beleuchtet­e.

Aufmerksam folgte das Leverkusen­er Publikum diesem spannenden und nachdenkli­ch stimmenden Dialog, der über den Schlussapp­laus hinaus wirkt. Der Jugendlich­e und ältere Zuschauer, darunter einige (ehemalige) Lehrer, gleicherma­ßen fesselte. Nicht zuletzt wegen der beiden überzeugen­den Darstel- ler, die das Drehbuch so selbstvers­tändlich und glaubhaft mit Leben füllten und vielleicht auch ein wenig wegen ihres charmanten niederländ­ischen Akzents. Majd Mardo ist der Sprayer, der seine Wut in eine Bombe packt und zugleich in Gedichten auszudrück­en versteht. Peter van Heeringen verkörpert den älteren und weiseren Matthieu, der aber auch nicht nur Lehrer und Verantwort­licher ist. Durch die erzwungene­n Gespräche wird deutlich, das beide deutlich vielschich­tiger sind als das, was an der Oberfläche zu beobachten ist. Sie zeigen, wie heikel die Gratwander­ung zwischen Hass und Freundscha­ft ist. Deswegen wirkt dieser „Jamal“nach als Mahnung, etwas genauer hinzuschau­en, dem anderen eine Chance zu geben, Toleranz zu üben.

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FOTO: KULTURSTAD­TLEV Majd Mardo spielt den jungen Jamal.

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