Auf der Bühne packt Jamal seine Wut in eine Bombe
LEVERKUSEN Prüfende Blicke nach rechts und links, dann holt Jamal die Spraydose aus seinem Rucksack. Er sprüht seine Gedanken und vor allem seinen Frust und seine Wut an die Wände. In der Schule hat er die letzte Verwarnung bekommen mit der Auflage, sich jeden Tag für eine halbe Stunde bei Vertrauenslehrer Matthieu zum Gespräch einzufinden. Sonst fliegt er. In den Treffen mit dem älteren Mann lässt der sonst so verschlossen wirkende Jugendliche und potenzielle Attentäter kurze Blicke in seine Gedankenwelt, in sein Innerstes zu.
Das Publikum von KulturStadtLev wurde Zeuge dieser vertraulichen Gespräche auf der Bühne des Forum-Studios. Und dort bröckelt allmählich das erste Urteil, das man sich nach den beginnenden Sprühaktionen und den verstockten, widerspenstigen Antworten des Jungen gebildet hat. Allmählich wird deutlich, dass die Welt doch bedeutend komplizierter ist und sich nicht so einfach in Schwarz und Weiß aufteilen lässt. Dass man es hier nicht mit einem dummen, hoffnungslosen Jungen zu tun hat, sondern mit einem sehr gut informierten und nachdenklichen Heranwachsenden, für den die Suche nach seiner eigenen Identität und seinem Platz in der Gesellschaft extrem schwierig ist. Letztlich sind es Verfehlungen der Erwachsenen, der Gesellschaft und verlogenen Politik, die Jamal so wütend machen, dass er eine radikale Aktion plant. Nicht aus religiösen Motiven, wie die Schulleitung vermutet, sondern weil er ein Zeichen setzen will und weil er, wie viele junge Menschen seines Alters, eine gewisse Faszination des Todes empfindet und sich so schwer tut mit der Liebe. „Jamal“ist eine überaus gelungene niederländische Produktion des Amsterdamer Theaters „De Toneelmakerij“(Inszenierung und Text: Daniel van Klaveren) in deutscher Sprache, die einen weiteren Aspekt des KSL-Spielzeitthemas „Auf der Suche“beleuchtete.
Aufmerksam folgte das Leverkusener Publikum diesem spannenden und nachdenklich stimmenden Dialog, der über den Schlussapplaus hinaus wirkt. Der Jugendliche und ältere Zuschauer, darunter einige (ehemalige) Lehrer, gleichermaßen fesselte. Nicht zuletzt wegen der beiden überzeugenden Darstel- ler, die das Drehbuch so selbstverständlich und glaubhaft mit Leben füllten und vielleicht auch ein wenig wegen ihres charmanten niederländischen Akzents. Majd Mardo ist der Sprayer, der seine Wut in eine Bombe packt und zugleich in Gedichten auszudrücken versteht. Peter van Heeringen verkörpert den älteren und weiseren Matthieu, der aber auch nicht nur Lehrer und Verantwortlicher ist. Durch die erzwungenen Gespräche wird deutlich, das beide deutlich vielschichtiger sind als das, was an der Oberfläche zu beobachten ist. Sie zeigen, wie heikel die Gratwanderung zwischen Hass und Freundschaft ist. Deswegen wirkt dieser „Jamal“nach als Mahnung, etwas genauer hinzuschauen, dem anderen eine Chance zu geben, Toleranz zu üben.