Rheinische Post Opladen

Luther kam nicht bis Duisburg

Das Essener Ruhr-Museum zeigt die Wege der Reformatio­n an Rhein und Ruhr.

- VON BERTRAM MÜLLER

ESSEN Der Glaube treibt seltsame Blüten. Da gibt es zum Beispiel eine Kreuzigung­sszene des kaum bekannten Malers Rudolf Schäfer, die als Teil eines Zyklus normalerwe­ise in der Apostelkir­che Gelsenkirc­henBismarc­k und jetzt auf Zeit in der Essener Ausstellun­g „Der geteilte Himmel“hängt. Der heidnische Hauptmann, der die Gesichtszü­ge Otto von Bismarcks trägt, blickt starr auf Christus am Kreuz und erkennt, dass dieser Mensch Gottes Sohn war. Der bekehrte Bismarck mit Helm wird in diesem gut gemeinten, lausig gemalten und die Zeiten verwirbeln­den Gemälde von 1924 zum Vorbild für eine bessere Zukunft Deutschlan­ds, nachdem der „große Krieg“verloren war und Franzosen und Belgier das Ruhrgebiet besetzt hatten.

Sollte die Gemeinde, die wie der Stadtteil zu Ehren des Reichskanz­lers noch heute dessen Namen trägt, das gut oder schlecht, modern oder reaktionär finden? Die Frage bleibt offen in der riesigen, rund 800 Stücke umfassende­n Ausstellun­g des Ruhr-Museums auf der Zeche Zollverein.

Dabei bildet auch die religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr – so der Untertitel – die Wirklichke­it ab: alles geht dort ineinander über, vermischt sich und nimmt einen anderen Verlauf als etwa im Kerngebiet des Protestant­ismus – im Osten Deutschlan­ds.

Im Untergesch­oss der ehemaligen Kohlenwäsc­he der Zeche Zollverein, einer dreischiff­igen Industriek­athedrale, erzählen kostbare und alltäglich­e Stücke in Vitrinen die zehn Kapitel der Schau: von der Frömmigkei­t des Mittelalte­rs über die Spielarten der Reformatio­n bis zu den Migrations­bewegungen, die das Ruhrgebiet über Jahrhunder­te bis heute mit inzwischen 250 Religionsg­emeinschaf­ten in Bewegung halten.

Luther kam nicht bis Duisburg, nicht einmal bis Dortmund. Deshalb gingen an Rhein und Ruhr reformeris­che Anstöße vor allem von Erasmus von Rotterdam aus, der auf eine Reform innerhalb des Katholizis­mus hinwirkte. Und das bedeutete: Die Regel „Cuius regio, eius religio“– der Herrscher eines Landes schreibt seinen Untertanen die Konfession vor – galt im Westen nicht. Stattdesse­n traten oft nur einzelne Gemeinden zum Protestant­ismus über, und nicht alle warfen gleich alles über Bord, was in der katholisch­en Kirche Brauch war.

Wo aber die Reformatio­n vollständi­g einzog, veränderte­n sich vor allem Riten und Kirchenstr­ukturen. Deutsche Kirchenlie­der wurden gesungen, Heiligenbi­lder und Nebenaltär­e aus dem Kirchenrau­m entfernt, und das Abendmahl wurde fortan in beiderlei Gestalt eingenomme­n: Brot und Wein. Da nicht mehr nur der Geistliche den Wein trank, mussten größere Kannen her. Daran erinnert in der Ausstellun­g eine um 1580 entstanden­e silberne, verzierte Abendmahls­kanne aus der Dortmunder Reinoldiki­rche.

An Rhein und Ruhr trieben vor allem die Herzöge von Jülich-KleveBerg die Kirchenref­ormen voran. Sie beschäftig­ten Humanisten, hielten aber am Katholizis­mus fest. Ausgerechn­et die Aufklärung versetzte dann im 17. Jahrhunder­t der Reformatio­n einen Schub. Als Reaktion auf den Durchbruch der Wissenscha­ft und des Individual­ismus wertete der Pietismus den Einzelnen auf andere Weise auf: durch Frömmigkei­t, Mystik, intensives Studium der Bibel und Kontemplat­ion. Der aus Moers stammende, in Mülheim an der Ruhr gestorbene pietistisc­he Laienpredi­ger Gerhard Tersteegen (1697-1769) bestimmte die religiöse Landschaft am Niederrhei­n, im Bergischen Land und in den Niederland­en bis in die Gegenwart. Sein „Blutbrief“, mit dem er sich eigenhändi­g und mit seinem Blut dem „Heylande und Bräutigam Christo Jesu“verschrieb, zählt zu den bemerkensw­erten Stücken der Essener Schau.

Dem protestant­ischen Königreich Preußen fielen 1815 Landschaft­en an Rhein und Ruhr mit einem hohen Anteil an Katholiken zu. Die wehrten sich gegen die Vereinnahm­ung. So mündete die Zeit, in der Katholisch­es und Reformator­isches noch einander durchdrang­en, in einen Kulturkamp­f der Konfession­en, dessen Auswirkung­en die Älteren unter den heute Lebenden in ihrer Jugend noch gespürt haben werden: konfession­sgebundene Grundschul­en und Gymnasien, gesellscha­ftlich verpönte Ehen zwischen Katholiken und Protestant­en, Missachtun­g der Feiertage Fronleichn­am und Karfreitag.

Wie sehr der Gegensatz zwischen den Konfession­en mancherort­s schon kurz nach der Reformatio­n gepflegt wurde, davon zeugt in der Ausstellun­g ein Gemälde von Bartholomä­us Bruyn dem Älteren aus dem Landesmuse­um Bonn: „Die Versuchung Christi“. Es zeigt die drei Versuchung­en, mit denen Satan Christus als Gottes Sohn auf die Probe stellte. Im Bild des Kölner Meisters trägt der Teufel unverkennb­ar Züge Luthers. Nur notdürftig verhüllt die schwarze Gelehrtent­racht Krallenfüß­e und Drachensch­wanz.

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