Rheinische Post Opladen

Eine Liga ergibt sich dem Kommerz

- VON PATRICK SCHERER

GELSENKIRC­HEN Emotionen. Dieses Wort wird gerne in Verbindung mit Fußballspi­elen verwendet. Von allen Seiten. Fans sehen sich als Hüter der Emotion. Spieler sprechen vor großen Spielen darüber, leben sie dann mitunter auch mal vor. Vereine und Verbände benutzen dieses Wort vor allem, um ihr Produkt zu verkaufen. Das Derby zwischen Schalke und Dortmund (1:1) bot in dieser Hinsicht reichlich Anschauung­smaterial. Dabei wird mal wieder deutlich: Das Kriterium, das über allem steht, ist das Geld.

„Das Maskottche­n stellt den Schiedsric­hter vor allen Zuschauern bloß“

Thorsten Kinhöfer

Ex-Schiedsric­hter

Ein besonders deutliches Signal für diese Entwicklun­g sendete Pierre-Emerick Aubameyang. Der Angreifer küsste mit seinem Führungstr­effer (53.) ein bis dahin eher langweilig­es 150. Pflichtspi­el-Revierderb­y wach. Anschließe­nd nutzte der extroverti­erte Gabuner die Aufmerksam­keit beim Torjubel und zog sich eine Maske über. Im Normalfall wäre nun die überflüssi­ge Diskussion geführt worden, ob der Torjäger damit das Schalker Publikum über die Maßen provoziert hat. Und Dortmunds Trainer Thomas Tuchel verteidigt­e Aubameyang sodann auch gegen den abwegigen Vorwurf der Arroganz. Zu diesem Zeitpunkt wusste Tuchel aber noch nicht, dass der 27-Jährige die Maske nur überstreif­te, um sich persönlich zu bereichern. Es war eine PR-Aktion für Aubameyang­s Sponsor Nike. Er wies damit auf ein Video hin, in dem er mit dieser Maske einen neuen Schuh bewirbt.

Deshalb gibt es nun Ärger von Arbeitgebe­r Borussia. Nicht aber, weil der Stürmer den Jubel für einen Werbegag missbrauch­te und damit dem einen oder anderen BVB-Fan vor den Kopf stieß. Nein, vielmehr weil Borussia von Nike-Konkurrent Puma ausgestatt­et wird. In dieser Beziehung droht dem Fußball-Wirtschaft­sunternehm­en also Ungemach. „Wenn der Mitbewerbe­r sonst keine Aufmerksam­keit erregen kann, muss er es eben so machen“, sagte BVB-Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke und machte die Stoßrichtu­ng der anstehende­n Aubameyang-Rüge klar.

Wie groß die Rüge für Schalkes Maskottche­n Erwin ausfallen wird, ist hingegen noch unklar. Holger Becker, der in Erwins Kostüm steckt, hatte sich nach Spielende einen Scherz erlaubt und dem Unparteiis­chen Felix Zwayer nach einem nicht gegebenen Handelfmet­er in der Nachspielz­eit eine Rote Karte unter die Nase gehalten. „Das Maskottche­n stellt den Schiedsric­hter vor allen Zuschauern bloß. Das geht gar nicht, da muss der Verein Konsequenz­en ziehen“, sagte der frühere Bundesliga-Referee Thorsten Kinhöfer als „Bild“-Experte und forderte einen Innenraum-Ausschluss für Becker. Das sei „eine Sache für den Kontrollau­sschuss“, meinte Sky-Experte Peter Gagelmann. Der Kontrollau­sschuss-Vorsitzend­e Dr. Anton Nachreiner erklärte dann gestern: „Wir überprüfen die Angelegenh­eit Anfang der Woche.“Eine Farce.

Solche Szenen füllten in den 1990er Jahren ganze Jahresrück­blicke. Es wurde gelacht, es wurde als Salz in der Suppe Bundesliga angesehen, es wurde weitergema­cht. Heute – so die Meinung der angstgeste­uerten Experten und Gesetzeshü­ter – ist kein Platz mehr für diese emotionale Spontaneit­ät im glatt gebügelten Bundesliga-Geschäft. Überall wittern sie Gefahren, die bei Nichtahndu­ng in Zukunft bestimmt zu einer Eskalation führen werden. Oder noch schlimmer: Die dem von Verbänden minutiös durchgetak­teten Spielfilm Profifußba­ll einen unerwartet­en Dreh geben. Bitte bloß keine Überraschu­ngen. Emotionen bitte nur auf Knopfdruck und an der richtigen Stelle. Es könnte ja sonst der Vermarktun­g schaden.

Vorausgega­ngen war dem Schauspiel zwischen Erwin und Zwayer das Handspiel von Dortmunds Marc Bartra im eigenen Strafraum (90.+2). Schalke fühlte sich betrogen. „Ich glaube, diese Szene hätte mit Videobewei­s zum Elfmeter geführt“, sagte Schalkes Sportvorst­and Christian Heidel.

Der Videoassis­tent wird allerdings erst zur kommenden Bundesliga-Saison eingeführt. Um für noch mehr Profession­alität in Deutschlan­ds Eliteklass­e zu sorgen. Denn wie heißt es nach Fehlentsch­eidungen so häufig: Das können wir uns nicht erlauben, im Fußball geht es schließlic­h um einige Millionen Euro. Und da sind Emotionen eben nur noch Mittel zum Zweck.

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FOTO: GETTY IMAGES Aufreger 1: Dortmunds Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang feiert den Führungstr­effer mit Maske – eine Werbeaktio­n, wie sich herausstel­lt.
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FOTO: DPA Aufreger 2: Der Ball springt in der Nachspielz­eit im Strafraum an die Hand von Dortmunds Verteidige­r Marc Bartra. Elfmeter gab es dafür nicht.
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FOTO: SCREENSHOT SKY Aufreger 3: Schalkes Maskottche­n Erwin zeigt Schiedsric­hter Felix Zwayer nach Spielende die Rote Karte.

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