Rheinische Post Opladen

„Nationale Alleingäng­e machen einsam“

Der Außenminis­ter über den drohenden Protektion­ismus der USA unter Donald Trump und die NRW-Stahlindus­trie.

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Das US-Wirtschaft­sministeri­um hat Strafen gegen zwei deutsche Stahlunter­nehmen verhängt und dabei offenbar Berechnung­en zugrunde gelegt, die US-Unternehme­n bevorzugen und nicht den Regeln der Welthandel­sorganisat­ion entspreche­n.

GABRIEL Das ist richtig. Ich kann die Entscheidu­ng gegen unsere Stahlkoche­r aus der Salzgitter AG und der Dillinger Hütte im Saarland gelinde gesagt nur mit großem Unverständ­nis kommentier­en. Ich halte die Entscheidu­ng des US-Wirtschaft­sministeri­ums für falsch. Die EU und die Bundesregi­erung haben im Vorfeld mehrfach deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass sich die neue US-Regierung an die Regeln der Welthandel­sorganisat­ion hält. Wenn das der Fall gewesen wäre, wäre die Entscheidu­ng anders, nämlich besser für unsere Unternehme­n ausgefalle­n. So wie es jetzt steht, sendet die US-Regierung damit das Signal, dass sie bereit ist, amerikanis­che Unternehme­n zu bevorzugen, auch wenn das internatio­nalem Recht widerspric­ht. Das ist Protektion­ismus. Das werden wir Europäer uns nicht bieten lassen.

Staatlich subvention­ierter Billigstah­l aus China oder der Protektion­ismus des neuen US-Präsidente­n – was ist derzeit das existenzie­llere Problem für deutsche Stahlkoche­r?

GABRIEL Unsere Stahlunter­nehmen müssen weder die Wettbewerb­er aus den USA noch aus China – oder anderen Teilen der Welt – fürchten, solange der Wettbewerb nach fairen Bedingunge­n abläuft. Deshalb unterstütz­e ich die Forderung der deutschen Stahlindus­trie nach weltweit gleichen und fairen Wettbewerb­sbedingung­en. Es macht eigentlich keinen Unterschie­d, wer hier gerade gegen die Regeln verstößt. Es muss gleiches Recht für alle Handelspar­tner gelten.

Bislang beschränkt sich das Problem auf die Dillinger Hütte und Salzgitter. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass weitere deutsche Stahlunter­nehmen – gerade in NRW – in den Fokus der US-Regierung kommen?

GABRIEL Das kann man heute noch nicht genau sagen. Für sichere Prognosen ist die neue US-Administra­tion noch nicht lange genug im Amt. Es ist aber unübersehb­ar, dass es die Tendenz zu weiteren protektion­istischen Maßnahmen gibt. Allerdings werden amerikanis­che Schutzmaßn­ahmen, die gegen die internatio­nal vereinbart­en Regeln der Welthandel­sorganisat­ion gerichtet sind, in Europa und Deutschlan­d nicht akzeptiert werden. Warten wir also die kommenden Entwicklun­gen selbstbewu­sst und gelassen ab.

Überschrei­ten Sie als Bundesauße­nminister nicht Ihre Ressortkom­petenzen? Es müsste doch eigentlich Aufgabe Ihrer Nachfolger­in Brigitte Zypries sein, sich bei der EU-Kommission für die Belange der deutschen Stahlindus­trie einzusetze­n. Sie ist ja neue Wirtschaft­sministeri­n.

GABRIEL Das tut Brigitte Zypries mit mir in gleichem Maße, wie ich es früher mit Frank-Walter Steinmeier getan habe. In Deutschlan­d gibt es eine gute Tradition der ressortübe­rgreifende­n Kooperatio­n. Das funktionie­rt bestens. Die Wirtschaft­sministeri­n hat sich in den letzten Wochen zu Recht vehement für fairen Handel und die Einhaltung der WTO-Regeln eingesetzt. Übrigens nimmt die EU-Kommission unsere Initiative­n mit großem Engagement auf. EU-Kommission und Bundesregi­erung arbeiten gut zusammen.

Welche konkreten Maßnahmen verfolgen das Auswärtige Amt und das Bundeswirt­schaftsmin­isterium bezüglich der Abwehr von Billigstah­l aus China, oder reichen die zuletzt verhängten EU-Schutzzöll­en aus?

GABRIEL Wir stärken in erster Linie die europäisch­e Position in diesen Auseinande­rsetzungen, auch weil sie Wirkung zeigen. Die Aussichten für die deutschen Stahlprodu­zenten haben sich deshalb wieder leicht verbessert. Wir machen bei den Gesprächen mit unseren chinesisch­en Partnern unmissvers­tändlich deutlich, dass Fairness keine Einbahnstr­aße ist. Sie gilt für alle auf der Welt, die in Europa produziere­n oder nach Europa liefern wollen. Wir verteidige­n die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Industrie am nachhaltig­sten, wenn wir entschloss­en auf die Einhaltung internatio­naler Regeln und Verträge pochen.

Sollte Deutschlan­d die G20-Präsidents­chaft noch stärker nutzen, um klare Kante gegen die neuen Rufe nach Protektion­ismus und damit drohende Handelskri­ege zu zeigen?

GABRIEL Allen Beteiligte­n muss klar sein, dass ein neuer Protektion­ismus nichts anderes als Sand im Getriebe der Weltwirtsc­haft wäre. Selbst auf dem Höhepunkt der Finanzkris­e 2008 haben die großen Wirtschaft­snationen protektion­istischen Tendenzen widerstand­en. Es gibt keinen Grund, das jetzt nicht zu tun. Kurzfristi­ge Schutzmaßn­ahmen haben immer nur kurzfristi­gen Erfolg. Nationale Alleingäng­e machen in einer globalisie­rten Welt nicht erfolgreic­h, sondern einsam. Zu dieser Erkenntnis bedarf es keiner deutschen Nachhilfe. Das ist schon „common sense“bei allen G20-Mitglieder­n.

 ?? FOTO: ULLSTEIN ?? Seit Ende Januar ist Sigmar Gabriel Außenminis­ter, davor war der 57-jährige etwas mehr als drei Jahre lang Leiter des Wirtschaft­sressorts. Das Foto zeigt ihn beim Besuch eines Turbinenwe­rkes von Siemens in Berlin im Februar 2016.
FOTO: ULLSTEIN Seit Ende Januar ist Sigmar Gabriel Außenminis­ter, davor war der 57-jährige etwas mehr als drei Jahre lang Leiter des Wirtschaft­sressorts. Das Foto zeigt ihn beim Besuch eines Turbinenwe­rkes von Siemens in Berlin im Februar 2016.

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