Rheinische Post Opladen

Die Weltgeschi­chte Südosteuro­pas

Der Balkan kann ohne Einmischun­g von außen demokratis­ch werden.

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

In die Weltgeschi­chte stellt MarieJanin­e Calic Südosteuro­pa. Das mag in Westeuropa, wenn es sich als Ausgang der Weltgeschi­chte betrachtet, aufstoßen. Von hier folgt das Interesse an Südosteuro­pa eher engen Urteilen, als Hort „schlechter Nachrichte­n“und von Korruption. Aus „dummerweis­e“in die EU aufgenomme­nen Staaten kommen lästige Zuwanderer. Alle Staaten Südosteuro­pas, so wie Calic es umfasst, haben 62 Millionen Einwohner. Davon sind 44 Millionen bereits in der EU. Es warten noch 18 Millionen.

So kann Calics Buch als eine weltgeschi­chtliche Erklärung von „Weltreiche­n“gesehen werden, die ihre Konflikte in Südosteuro­pa austrugen, es als Bezugsquel­le von Menschen und Ressourcen benutzten. Dabei überwindet Calic die Verengung auf Nationalge­schichte und stellt globale Zusammenhä­nge dar.

Der erste Satz des Buches hat einen fatalen Bezug zur Gegenwart: „Am Anfang war Alexander der Große.“Griechenla­nd und das postjugosl­awische Mazedonien streiten um das griechisch-römische Namenserbe. Sie beweisen, wie wenig sie damit für ihre europäisch­e Integratio­n anzufangen vermögen. Ihnen gegenüber ist die Herablassu­ng Westeuropa­s, für die Rom ein EU- begründend­es Narrativ ist, gleicherma­ßen fragwürdig. Ebenso wird das christlich­e EU-Narrativ verengt. Die Christiani­sierung erfolgte in Südosteuro­pa Jahrhunder­te vor der Nordwesteu­ropas. Und so begannen mit dem Schisma zwischen Rom und Byzanz dort auch die Religionsk­onflikte früher. Die Slawen, die seit dem 6. Jahrhunder­t Südosteuro­pa besiedelte­n, wurden durch diesen Konflikt in europäisch­e Geschichte integriert. Ihr historisch­es Schicksal war, dass seit dem 14. Jahrhunder­t die christlich­e Dominanz durch das islamische Osmanische Reich verdrängt wurde.

Die osmanische Herrschaft war bei allen grausamen Machtanspr­üchen und Ausbeutung­en vergleichs­weise multikultu­rell. Und sie stand in der globalen Auseinande­rsetzung mit den in Europa bestimmend­en Imperien. Das Osmanische Reich orientiert­e sich nach Osten, das konkurrier­ende Habsburg strebte nach Amerika. Von Nordamerik­a und von Frankreich gingen Revolution­en aus, in Südosteuro­pa bedeuteten sie Befreiung von osmanische­r Herrschaft. Dabei zog slawische Verbundenh­eit Russland herein. Von 1870 bis 1913 instrument­alisierten England, Frankreich, Deutschlan­d, Habsburg und Russland südosteuro­päische Nationalis­men. Die Antagonism­en zwischen ihnen führten in die Weltkriege. Die Entfremdun­g vom westlichen Europa besorgten dann ab 1945 Aufbau und Praxis des Kommunismu­s, wobei Tito in Jugoslawie­n zeigte, dass die Ablösung von einer Weltmacht möglich war.

In die Globalgesc­hichte integriert Calic sozioökono­mische und kulturelle Entwicklun­gen. Für sie kann Südosteuro­pa vom Schauplatz der Weltgeschi­chte zur gleichgeac­hteten Region werden durch demokratis­che Staatsbild­ung, Überwindun­g nationalis­tischer Zersplitte­rung und durch europäisch­e Integratio­n. Mein Blick zeigt allerdings, dass die USA wie Russland sich in die kleinen Staaten einzumisch­en belieben und religiöse Machtanspr­üche die von den Osmanen islamisier­ten Bevölkerun­gsgruppen zu beeinfluss­en suchen. Helfen kann nur ein Selbstvers­tändnis Europas, das die griechisch-römischen wie christlich­en Geschichts­narrative auch auf Südosteuro­pa bezieht.

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