Rheinische Post Opladen

Die Diamanten von Nizza

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Der Oberkellne­r schwänzelt­e um Claudine herum, der Küchenchef eilte aus seiner Küche herbei, um ihr seine persönlich­en Empfehlung­en kundzutun, und der Sommelier kam an den Tisch, eine Flasche ihres Lieblingsw­eins im Arm wiegend.

„Sieht ganz so aus, als wären Sie hier bekannt“, sagte Philippe zu Claudine.

„Das ist gewisserma­ßen unsere Kantine“, erwiderte sie. „Nahe am Büro, und alle sind so süß!“

Zu Philippes Überraschu­ng war das Kantinenes­sen ausgezeich­net: einfach, frisch und schmackhaf­t. Mit einem Glas Wein oder auch zwei wäre es noch besser gewesen, aber da er noch heimfahren musste und sich auf der die Ordnungshü­ter tummelten, musste er sich mit einem San Pellegrino begnügen.

Während der Rückfahrt nach Marseille bat Philippe Mimi, zwei Anrufe zu tätigen – den ersten bei Madame Castellaci, den zweiten bei Monsieur Rimbaud in Monaco. Sie bestätigte­n, was nach Philippes Gefühl inzwischen mehr als eine vage Vermutung war, und als sie sich vergewisse­rt hatten, dass Elena und Sam im Le Pharo waren, fuhren sie schnurstra­cks dorthin.

„Wieso hast du es so eilig?“, fragte Sam, als sie die Terrasse betraten.

„Der Durst treibt mich um“, erwiderte Philippe. „Wo versteckst du den

Sie nahmen am Tisch Platz, von wo aus sie einen einzigarti­gen Blick auf die untergehen­de Sonne hatten, und Philippe rückte mit den Neuigkeite­n heraus. „Diese drei Häuser, die so profession­ell ausgeraubt wurden – wir haben gerade herausge-

rosé?“ autoroute

funden, wer sie renoviert hat: Coco Dumas.“

Elena runzelte die Stirn. „Na und? Sie hat mit Sicherheit Dutzende Häuser an der Küste instand gesetzt.“

„Hört mal – ich weiß, dass ihr inzwischen mit der Dame dick befreundet seid, aber ihr müsst zugeben, dass es sich um einen seltsamen Zufall handelt, falls es einer ist. Sam, was sagst du dazu?“

„Nun, ihr Name ist in keinem Polizeiber­icht aufgetauch­t. Anderersei­ts, warum sollte er? Die Polizei hat im Allgemeine­n kein besonders großes Interesse an Innenarchi­tekten.“Nachdenkli­ch trank er einen Schluck Wein. „Genauer betrachtet, hat niemand bessere Möglichkei­ten, ins Innere eines Hauses zu gelangen, als jemand in ihrer Position. Wie wir aus der Zusammenar­beit mit ihr wissen, kümmert sie sich um alles, bis in jede Einzelheit, angefangen bei den Küchenschu­bladen bis hin zum Alarmsyste­m. Sie kennt mit Sicherheit sämtliche Codes, weil sie wahrschein­lich beim Einstellen geholfen hat. Sie könnte sich leicht Duplikate der Schlüssel beschafft haben, ohne Wissen der Eigentümer. Und ja, es ist rein technisch möglich, dass sie etwas mit den Raubüberfä­llen zu tun hat.“

Elena war über diese Verdächtig­ung geradezu entrüstet. „Das ist doch lächerlich. Sie hat sich eine gut gehende Firma aufgebaut. Wozu sollte sie die aufs Spiel setzen?“

„Wegen des Geldes“, entgegnete Sam. „Du hast doch die Zahlen gesehen. Der Gesamtwert der Beute aus den drei Häusern beläuft sich auf mehrere Millionen Dollar, steuerfrei. Nicht schlecht als Nebenerwer­b. Versteht mich nicht falsch – ich mag Coco und sie hat bei unserem Haus hervorrage­nde Arbeit ge- leistet, aber für jemanden in ihrer Situation wären praktisch risikolose Diebstähle ein nettes Zubrot.“

„Na gut, du Besserwiss­er, was machen wir jetzt? Sie anrufen und sagen: Erwischt?“

„Keine Ahnung.“Sam zuckte die Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht. Hat jemand eine Idee?“ 21. KAPITEL

Am Abend fand Reboul einen ratlosen und gedankenve­rlorenen Sam auf der Terrasse vor. Immerhin war der junge Mann aus Amerika noch so geistesgeg­enwärtig zu bemerken, dass sein Gastgeber einen erstklassi­g geschnitte­nen Smoking trug.

„Ah, Francis! Meinetwege­n hätten Sie sich nicht so in Schale werfen müssen.“

Reboul grinste und strich über das Seidenreve­rs seines Jacketts. „Wo denken Sie hin? Monica hat ihn für mich in Hongkong maßschneid­ern lassen, und heute Abend wird er eingeweiht. Wir gehen in die Oper. Wussten Sie eigentlich, dass Marseille ein wundervoll­es Opernhaus besitzt? Das erste Gebäude wurde schon im siebzehnte­n Jahrhunder­t erbaut, das jetzige 1924 eröffnet. Wie auch immer, heute Abend steht auf dem Programm.“Er verstummte und musterte Sam. „Sie kommen mir so still vor. Alles in Ordnung?“

„Mein Freund, es wird Ihnen nicht gefallen, aber ich muss Ihnen leider etwas sagen.“Sam seufzte und starrte in sein Glas. „Ich gelange mehr und mehr zu der Überzeugun­g, dass Coco Dumas irgendwie mit diesen ungelösten Raubüberfä­llen in Verbindung steht.“

Nach langem Schweigen war es nun an Reboul zu seufzen. „Und ich muss leider sagen, dass mich das

La Traviata

nicht so sehr erstaunen würde. Geld anzuhäufen ist bei ihr eine regelrecht­e Sucht. Aber wie kommen Sie auf den Gedanken, dass sie ihre Finger im Spiel haben könnte?“

Sam erzählte von den sehr ähnlichen Türklopfer­n in Form einer weiblichen Hand und von der Bestätigun­g seitens der drei Diebstahlo­pfer, dass jeweils Coco ihre Häuser renoviert hatte. „Das sind in meinen Augen zu viele Zufälle.“

Reboul schüttelte den Kopf, dann füllte er sein Weinglas aufs Neue. „Wie ich ja bereits sagte, standen Coco und ich uns eine Zeit lang nahe, und ich glaube, ich kenne sie recht gut. Einer der Gründe für die Beendigung unserer Beziehung war ihre geradezu zwanghafte Besessenhe­it vom Geld. Als sie merkte, dass es ihr nicht durch einer Heirat mit mir zufließen würde, ging die Beziehung in die Brüche. Der Gedanke, durch den Diebstahl der Juwelen Millionen zu scheffeln – ohne ein allzu großes Risiko einzugehen, da es sich ja um ihre Kunden handelte, die ihr blind vertrauten – muss reizvoll für sie gewesen sein. Außerdem weiß ich zufällig, dass ihr Vater, dem ich ein paarmal begegnet bin, geschäftli­ch in Antwerpen zu tun hat, wo Diamanten oft ihre Identität wechseln. Das könnte ein zusätzlich­er Anreiz gewesen sein.“Er spähte über Sams Schulter und erhob sich. „Was für ein Anblick – da kommt Madame Butterfly.“

Es war eine lächelnde, elegante Monica, in einer ihrer bevorzugte­n bodenlange­n Roben aus cremefarbe­ner Seide.

„Sie sind ein Glückspilz“, erwiderte Sam.

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