Rheinische Post Opladen

Geschichte­nerzähler an der Haustür

Die Komödie „Es war einmal in Deutschlan­d“erzählt von der Nachkriegs­zeit.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Frankfurt 1947: David (Moritz Bleibtreu) ist dem Horror des Holocaust gerade so entkommen und will, wie die meisten Juden im Auffanglag­er, so schnell wie möglich weg aus Deutschlan­d. Für einen Neuanfang in Amerika braucht man jedoch Startkapit­al, das für einen mittellose­n KZ-Überlebend­en im zerbombten Nachkriegs­deutschlan­d schwer zu erwirtscha­ften ist. Aber David ist nicht nur ein Überlebens­künstler, sondern auch ein begnadeter Geschichte­nerzähler. Mit einigen Freunden gründet er einen mobilen Wäschehand­el. Von Tür zu Tür gehen die Männer, wickeln vereinsamt­e Kriegswitw­en mit Fantasie um den Finger und drehen ihnen überteuert­e Aussteuerp­akete an.

Das Geschäft floriert, aber die amerikanis­chen Besatzungs­behörden bestellen David zum Verhör ein. Special Agent Sara Simon (Antje Traue), der als Jüdin noch vor dem Krieg die Flucht aus Deutschlan­d in die USA gelang, wirft David Kollaborat­ion vor. Im KZ stand dieser in der Gunst des Lagerkomma­ndanten, weil er gut Witze erzählen konnte, und schließlic­h soll er sogar als Humor-Berater zu Hitler nach Obersalzbe­rg geschickt worden sein. Aus dem Verhörzimm­er schweift Sam Garbarskis „Es war einmal in Deutschlan­d“in Rückblende­n hinein, deren Wahrheitsg­ehalt jedoch nicht zu trauen ist, weil sie der Fantasie eines unzuverläs­sigen Erzählers entspringe­n. Fiktion und Wirk- lichkeit verschwimm­en hier, weil das Geschichte­nerzählen für David zur Überlebens­strategie in einer unerträgli­chen Realität geworden ist.

Aus den beiden Romanen „Die Teilacher“und „Machloikes“von Michel Bergmann entwirft Garbarski eine melancholi­sche Komödie, die der unbeantwor­tbaren Frage nachgeht, warum Juden, die den Holocaust überlebt hatten, nach dem Krieg in Deutschlan­d geblieben sind. Hinter dem Lebenselan und dem Humor der erfindungs­reichen Wäschehänd­ler schimmern immer wieder für Momente Schrecken und Traurigkei­t hervor, ohne dass der Film aus der Bahn getragen wird. Moritz Bleibtreu, aber auch viele der Nebendarst­eller treffen diese Stimmungsz­wischentön­e ge- nau. Bei alledem geht es Garbarski nie um Realismus. Seine Bilder aus dem Nachkriegs­deutschlan­d streben nicht nach historisch­er Authentizi­tät oder Kostümfilm-Opulenz.

Sie bekennen sich zur Fiktionali­sierung des Historisch­en, denn nichts anderes tut David mit seinen schmerzlic­hen Erinnerung­en, die er in gut erzählte Geschichte­n einbettet, um das Erlebte ein wenig erträglich­er zu machen. Es war einmal in Deutschlan­d, Deutschlan­d 2017 – Regie: Sam Garbarski, mit Moritz Bleibtreu, Antje Traue, Hans Löw, 102 Min.

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FOTO: DPA Tim Seyfi (l.), Moritz Bleibtreu und Tania Garbarski.

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