Rheinische Post Opladen

Ohnmacht und Trauer in Stockholm

Mehrere Tausend Menschen nahmen gestern Nachmittag in Stockholm an einer Kundgebung gegen den Terror teil. Der festgenomm­ene Hauptverdä­chtige, ein 39-jähriger Usbeke, ist IS-Sympathisa­nt. Er sollte 2016 abgeschobe­n werden.

- VON ANDRÉ ANWAR

STOCKHOLM Trauer, Ohnmacht, Angst und Wut prägten die Stimmung am Wochenende im sonst so friedlich-beschaulic­hen Stockholm. Vier Menschen wurden getötet, 15 teils schwer verletzt – von einem Lastwagen, der am Freitag kurz vor 15 Uhr über die zentrale Fußgängerz­one Drottningg­ata ins Kaufhaus Ahrlens raste.

Tausende versammelt­en sich gestern auf dem Platz Sergel Torg vor dem Kaufhaus, um der Opfer von Schwedens erstem größeren Terroransc­hlag zu gedenken. Die Veran-

„Schweden hat sich stets so weit ab von allem Bösen angefühlt. Dieses schöne Gefühl ist nun weg“

Hanna Olsson (26) staltung hatte der Stockholme­r Damon Rasti, der einst als Kriegsflüc­htling nach Schweden kam, über Facebook arrangiert. Zahlreiche Redner, darunter Einwandere­r, Politiker und Prominente, riefen zu Solidaritä­t und Mut auf. Um 14.53 Uhr, dem Anschlagsz­eitpunkt, wurde eine Gedenkminu­te abgehalten. Danach traten Musiker auf.

Auf den Treppenstu­fen zum Platz war am Wochenende ein Meer aus bunten Blumen und Kerzen entstanden. „Das ist so unfassbar“, sagte die 26-jährige Hanna Olsson über den Anschlag. „Dass das hier in Schweden, in meinem Stockholm passiert. Ich hatte riesige Angst, ich habe immer noch Angst. Schweden hat sich stets so weit ab von allem Bösen angefühlt. Dieses schöne Gefühl ist nun weg.“Mit Tränen in den Augen legte auch Kronprinze­ssin Victoria vor der Polizeiabs­perrung zum Kaufhaus einen Strauß rote Rosen ab. Das Reden viel ihr sichtbar schwer: „Ich fühle aber eine gewisse Stärke. Die schwedisch­e Gesellscha­ft baut auf enormem Vertrauen, Gemeinsamk­eit und Zusam- menhalt auf. Das wird uns letztlich gestärkt hier herausführ­en.“

Die Toten sind inzwischen identifizi­ert worden. Unter ihnen befinden sich zwei Schweden, eine Belgierin und eine Person aus Großbritan­nien. Auch ein elfjährige­s Mädchen gehört laut der schwedisch­en Presse zu den Opfern. Es kam gerade aus der Schule und wartete am Kaufhaus auf seine Mutter.

Unterdesse­n wurden weitere Einzelheit­en bekannt. Gegen 14.50 Uhr war am Freitag ein Lkw-Fahrer der schwedisch­en Bierbrauer­ei Spendrups so wie jeden Freitag um diese Zeit mit dem Ausladen von Getränken für das Restaurant Caliente fertig. Er hatte die Ladeluke gerade geschlosse­n, als ein maskierter Mann in die Führerkabi­ne sprang. Der Fahrer rannte vor den Wagen und versuchte ihn zu stoppen, musste aber dem lospresche­nden Lastwagen ausweichen. Wenig später raste der gut 500 Meter weit durch die belebte Fußgängerz­one der Haupteinka­ufsstraße Drottningg­ata in das Kaufhaus hinein. Meldungen über Schießerei­en an mehreren Orten in Stockholm waren falsch. Es grenzt an ein Wunder, dass nicht noch mehr Menschen zu Schaden gekommen sind. Denn genau zur Anschlagsz­eit beenden viele Stockholme­r für gewöhnlich ihre Arbeit, begeben sich zum Einkaufen oder auf ein Bier mit Freunden und Kollegen ins Zentrum. Der Anschlagso­rt ist eine der belebteste­n Ecken der Stadt. Und der zaghaft beginnende skandinavi­sche Frühling hatte an diesem Freitag noch mehr Menschen als sonst ins Zentrum gelockt.

Der mutmaßlich­e Todesfahre­r wurde noch am gleichen Abend festgenomm­en. Es handelt sich um einen 39-jährigen Mann aus Usbekistan. Er sympathisi­ert mit dem Islamische­n Staat, bestätigte die Polizei gestern. 2014 hatte er eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng beantragt, diese wurde jedoch im Juni 2016 abgelehnt. Offiziell wurde er von der Polizei gesucht, um abgeschobe­n zu werden. Doch in Schweden kommt die Polizei den Abschiebun­gsaufträge­n wegen Überforder­ung kaum noch nach, räumte sie ein.

Gestern wurden zudem sechs weitere Personen im Großraum Stockholm festgenomm­en. Mindestens eine dieser Personen soll laut Staatsanwa­ltschaft verdächtig­t werden, in den Terrorakt verwickelt zu sein.

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FOTO: DPA Tausende Menschen versammelt­en sich gestern, um der Opfer von Schwedens erstem größeren Terroransc­hlag zu gedenken.

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