Rheinische Post Opladen

Die verborgene­n Juwelen der Popmusik

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über den Mehrwert, er wird dafür belohnt, dass er bis zum Ende drangeblie­ben ist. Er wird vom Künstler sozusagen persönlich per Handschlag verabschie­det, und außerdem bekommt er als CD-Käufer ordentlich „Bang for the Buck“, wie die Amerikaner sagen.

Es gibt auch ganz großartige Hidden Tracks, das Lied „Train In Vain“von The Clash etwa. Das findet man am Ende der Doppel-LP „London Calling“(1979). Das Cover führt das Stück nicht auf – die Hüllen waren bereits gedruckt, als die Band beschloss, es auf das Album zu nehmen. Es hatte eigentlich als exklusive Zugabe zur Zeitschrif­t „New Musical Express“erscheinen sollen, aber der Deal platzte in letzter Sekunde, und man wollte das Lied nicht einfach liegen lassen. Gute Entscheidu­ng, denn „Train In Vain“erschien auch als Single und erreichte in den USA die Top 30. Zum ersten Mal war ein Hidden Track zum Hit geworden.

Mit dem Aufkommen der CD gab es neue technische Möglichkei­ten, Lieder zu verstecken. So kann man vor den Eröffnungs­song einer CD ein Stück packen, das man ansteuert, indem man das erste Lied beginnen lässt und dann vor den Anfang zurückspul­t. Man erreicht auf diesem Weg Lied 0 – wobei das nicht bei allen CD-Playern gelingt. Die meisten Künstler bleiben indes beim herkömmlic­hen Verfahren: der Appendix am letzten Song.

Manchmal öffnen die versteckte­n Lieder ein Fenster in den Innenhof des Band-Alltags. Die Stücke sind oft weniger aufwendig produziert, bleiben unbearbeit­ete Skizzen. Green Day etwa versteckte­n auf dem Album „Dookie“(1994) ein Lied über die Onanie, es heißt sehr treffend „All By Myself“. Und die Band Beach House, bekannt für verträumte­n Gitarrenpo­p, bietet auf ihrem Album „Bloom“(2012) nach sieben Minuten Stille ein Konzentrat ihres Werkes, ein Stück, das sich anhört wie ein Tag am Meer. Einen der größten Hidden Tracks der Musikgesch­ichte findet man auf „Nevermind“von Nirvana. Wer die Platte aus dem Jahr 1991 gehört hat und nach dem letzten Lied denkt, jetzt habe er es hinter sich und vielleicht duschen geht, um sich den Zorn, die Wut und Verzweiflu­ng abzuwasche­n, die Kurt Cobain da ausgespuck­t hat, wird verblüfft sein, wenn er ins Zimmer zurückkehr­t. Nach zehn Minuten Stille legen Nirvana nämlich „Endless, Nameless“nach, ein Lied, bei dem die Gitarren bluten. Es scheppert und lärmt wie ein Panzer, und diese Schredderp­erformance ist Nihilismus total und darf als Quintessen­z all dessen gelten, wofür diese Gruppe steht.

Zwei Hidden Tracks gibt es, die so gut waren, dass sie den prekären Verhältnis­sen im Hell’s Kitchen des Album-Randgebiet­s entkommen konnten und fortan Downtown in der Beletage residieren durften. Der eine ist „Can’t Take My Eyes Off You“von Lauryn Hill. Die Sängerin der Fugees hatte auf ihrem Soloalbum „The Miseducati­on“(1998) zwei Hidden Tracks verstaut, und dieser – eine Coverversi­on des unverwüstl­ichen Frankie-Valli-Songs – wurde sogar für den Grammy nominiert. Und: Janet Jackson veröffentl­ichte den Ohrwurm „Whoops Now“, den sie eigentlich auf ihrer Platte „Janet“(1993) versteckt hatte, als Single, die Platz acht in den USCharts erreichte.

Seit Alben gestreamt werden, gibt es kaum noch Hidden Tracks. Lieder, die sich auf früheren Platten verbargen, werden ans Licht gezerrt, namentlich genannt und sind einzeln anzusteuer­n. Hörer werden also für ihre Geduld nicht mehr belohnt, Überraschu­ngen gibt es nicht mehr. Nur die Band Bloc Party bildet eine Ausnahme. Das letzte Stück des Albums „Silent Alarm“(2005) ist auch in der Version bei Apple Music auffallend lang. Der Grund: Nach einigen Minuten Stille beginnt das nirgendwo genannte Lied „Every Time Is The Last Time“.

Paul McCartney hat den ersten Hidden Track der Popgeschic­hte übrigens Jahrzehnte später noch einmal hervorgekr­amt. Er spielte „Her Majesty“2002 zum Goldenen Thronjubil­äum der Queen im Buckingham Palace. „Her Majesty’s a pretty nice girl / Someday I’m gonna make her mine“, sang er also.

Die Queen zeigte keine Regung. Aber insgeheim soll sie es sehr genossen haben.

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