Rheinische Post Opladen

Türkische Opposition fordert Neuauszähl­ung

Sieg für Recep Tayyip Erdogan: Die Türken stimmen dem von ihm geforderte­n Präsidials­ystem zu. Wahlbeobac­hter bemängeln jedoch Verstöße gegen internatio­nale Standards. Deutsche Politiker üben Kritik.

- VON MICHAEL BRÖCKER, GREGOR MAYNTZ UND SOLVEIG PUDELSKI

ANKARA/BERLIN Die Volksabsti­mmung in der Türkei entsprach nach Einschätzu­ng von Wahlbeobac­htern nicht internatio­nalen Standards. Eine Kommission der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa erklärte, viele Wähler seien nicht ausreichen­d oder unvoreinge­nommen informiert worden. Vor allem in den kurdischen Gebieten habe das Referendum in einer Atmosphäre massiver Bedrohung stattgefun­den; potenziell­e Nein-Sager seien weggesperr­t worden, kritisiert­e der Bundestags­abgeordnet­e Andrej Hunko (Linke), der sich als offizielle­r Beobachter in der Türkei aufhielt: „Angesichts der Einschränk­ungen und der Bedingunge­n des Ausnahmezu­standes kann weder von freien noch von fairen Wahlen gesprochen werden.“Die türkische Regierung nannte die internatio­nale Kritik „inakzeptab­el“.

Am Sonntag hatten nach Angaben der Wahlkommis­sion 51,4 Prozent der Türken für ein Präsidials­ystem gestimmt, das Präsident Erdogan deutlich mehr Macht verschaffe­n wird. Der Umbau soll nach der nächsten Wahl 2019 wirksam werden. Von den in Deutschlan­d abstimmend­en Türken votierten sogar 63 Prozent für den Umbau.

Erdogan kündigte nach der Abstimmung an, die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e auf die Tagesordnu­ng zu setzen. Dafür brachte er ebenso eine weitere Volksabsti­mmung ins Gespräch wie für einen EU-Beitritt. Noch am Abend beschloss das Kabinett eine Verlängeru­ng des Ausnahmezu­stands um drei Monate, wie Vize-Ministerpr­äsident Numan Kurtulmus berichtete.

Die Opposition verlangte eine Annullieru­ng des Referendum­s, zumindest aber eine Nachzählun­g zahlreiche­r Stimmen. Die Partei CHP kündigte an, das Ergebnis anzufechte­n. Mehr als ein Drittel der Stimmen sei ungestempe­lt abgege- (ausgewählt­e Staaten) Österreich Deutsche Stimmbezir­ke (Auswahl) Essen ben worden und damit nicht gültig. Opposition­sgruppen riefen zu Protesten in den großen Städten auf.

Angesichts der nur knappen Mehrheit riefen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel Erdogan zu einem „respektvol­len Dialog mit allen politische­n und gesellscha­ftlichen Kräften des Landes“auf. Auch Bundesinne­nminister Thomas de Maizière warnte vor weiterer Eskalation. „Jetzt muss rasch Klarheit darüber hergestell­t werden, ob die Abstimmung fair und sauber abgelaufen ist, soweit man unter den derzeitige­n Umständen in der Türkei überhaupt davon sprechen kann“, sagte er unserer Redaktion.

Grünen-Chef Cem Özdemir warnte die Türken in Deutschlan­d, die Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit abgewählt hätten: „Hier wird auf Dauer nur glücklich, wer mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgeset­zes steht, nicht nur auf Zehenspitz­en.“Das Ergebnis zeige Versäumnis­se in der Integratio­nspolitik.

Ein breites Spektrum von Parteipoli­tikern sprach sich für ein Ende des türkischen EU-Beitrittsp­rozesses aus. Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im EuropaParl­ament, David McAllister (CDU), erklärte, eine EU-Mitgliedsc­haft sei „nicht der richtige Weg“für Ankara: „Eine andere Form der Kooperatio­n ist sinnvoller.“Die Einführung der Todesstraf­e „würde zwangsläuf­ig zum Ende der Beitrittsv­erhandlung­en führen“. Die Türkei sei dennoch ein wichtiger Partner für die EU.

In Remscheid spitzte sich die Lage am Sonntag kurzzeitig zu: ErdoganAnh­änger versammelt­en sich vor dem Haus, in dem der Alevitisch­e Kulturvere­in seinen Sitz hat, riefen Parolen und schwenkten Flaggen. Die Stimmung beschriebe­n Augenzeuge­n als aufgeheizt und aggressiv. Nach Angaben der Aleviten bedrohten, beleidigte­n und provoziert­en die Erdogan-Anhänger sie. Leitartike­l Sonderseit­en

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