Rheinische Post Opladen

Die Risiken der Volksabsti­mmung

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Eine Volksabsti­mmung wie die am Sonntag in der Türkei oder die im vergangene­n Jahr in Großbritan­nien über den Brexit birgt immer die Gefahr, eine Gesellscha­ft noch tiefer zu spalten, als sie es ohnehin in der Frage der Abstimmung ist. Die heftigen Demonstrat­ionen in der Türkei nach dem knappen Votum für Erdogans autoritäre­s Präsidials­ystem zeigen dies einmal mehr.

Oberflächt­lich betrachtet sind Volksabsti­mmungen charmant. Man lässt den Souverän in einer freien Wahl entscheide­n, anstatt Entscheidu­ngen in Hinterzimm­ern zu treffen. Doch Volksabsti­mmungen polarisier­en. Sie verhindern, dass eine Gesellscha­ft in zentralen Fragen Kompromiss­e findet. Volksabsti­mmungen lassen nur Ja oder Nein, nur Schwarz oder Weiß zu.

Daher ist es auch nachvollzi­ehbar, dass die Bundesrepu­blik zwar auf lokaler und auf Landeseben­e Volksentsc­heidekennt,nichtaber,wennesum nationale Fragen geht. Deutschlan­d

Die Briten haben für den EU-Austritt gestimmt, die Türken haben Ja gesagt zu einem autoritäre­n Präsidials­ystem. Referenden sind nicht der Weisheit letzter Schluss.

Murks oder wie in der Sozialpoli­tik zu teuren Beschlüsse­n. Unterm Strich fahren wir dennoch seit Jahren relativ gut damit.

Das Beispiel Türkei zeigt: Volksentsc­heide öffnen jenen Tür und Tor, die Parolen statt Argumente vortragen, die politische Entscheidu­ngen simplifizi­eren, anstatt sich die Mühe zu machen, sie in ihrer Komplexitä­t zu erklären. In der Türkei hatte der Volksentsc­heid schon vor dem Wahltag Gewalt hervorgeru­fen. Sogar in Großbritan­nien, dessen Demokratie uns sehr viel näher ist als die der Türkei, kam es im Vorfeld der Brexit-Abstimmung zum Mord an der Labour-Abgeordnet­en Jo Cox. Auch wenn selbstvers­tändlich nicht jedes Referendum zu Gewaltexze­ssen führen muss, bleibt eine Polarisier­ung nie aus. Je größer die Tragweite der Entscheidu­ng, desto tiefer ist auch die Spaltung, die eine Volksabsti­mmung hinterläss­t.

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