Rheinische Post Opladen

Als Rot-Gelb das Laufen lernte

In Nordrhein-Westfalen hat es schon zweimal Bündnisse von SPD und FDP gegeben. Eine soziallibe­rale Neuauflage wird derzeit wieder in Düsseldorf diskutiert, obwohl es dafür nach den jüngsten Umfragen zahlenmäßi­g keine Mehrheit gibt.

- VON DETLEV HÜWEL

DÜSSELDORF Knapp einen Monat vor der Landtagswa­hl lässt sich noch nicht absehen, wie die künftige NRW-Regierung aussehen könnte. Neben einer großen Koalition aus SPD und CDU ist zunehmend von einem soziallibe­ralen Bündnis die Rede. Doch schon Ende vergangene­n Jahres hatte SPD-Landeschef­in Hannelore Kraft als Festredner­in auf der 70-Jahr-Feier der FDP daran erinnert, dass beide Parteien 1956 die erste soziallibe­rale NRW-Regierung gebildet hätten.

Die Liberalen haben diesmal zwar einem Dreierbünd­nis aus SPD, FDP und Grünen („Ampel“) eine Absage erteilt, nicht jedoch einer rot-gelben Koalition. SPD und FDP haben genügend programmat­ische Schnittste­llen, die als gemeinsame Basis ausreichen dürften. In der für NRW besonders wichtigen Wirtschaft­sund Energiepol­itik etwa liegen sie deutlich enger beieinande­r als SPD und Grüne.

Abgesehen von dem rot-gelben Intermezzo 1956 bis 1958 unter SPD-Regierungs­chef Fritz Steinhoff haben Sozialdemo­kraten und Liberale 14 Jahre lang – von 1966 bis 1980 – den politische­n Kurs in NRW bestimmt. Alles begann damit, dass sich beide Parteien 1966 zu einem spektakulä­ren Machtwechs­el entschloss­en. Sie stürzten im Landtag den amtierende­n CDU-Ministerpr­äsidenten Franz Meyers und wählten den Sozialdemo­kraten Heinz Kühn zu seinem Nachfolger. Dass die Liberalen damit gegen eine Regierung putschten, der sie bis dahin selbst angehörten, störte sie nicht. Zehn Jahre zuvor hatten sie es mit dem CDU-Ministerpr­äsidenten Karl Arnold genauso gemacht. All das trug der FDP den Ruf ein, wankelmüti­g zu sein und um des Mitregiere­ns willen die Fronten zu wechseln. Dabei hätte der Kölner Heinz Kühn damals viel lieber eine große Koalition gebildet, doch die SPDFraktio­n legte sich quer. Kühn, ein rhetorisch brillanter Intellektu­eller, schrieb später in seinen Memoiren über Rot-Gelb: „Wir haben unsere Ehe am Verstandes­amt geschlosse­n, und viel Liebe war nicht dabei.“RotGelb in Nordrhein-Westfalen be- deutete nicht nur das Ende einer langen CDU-Regierung im Land, sondern läutete auch den Machtwechs­el im Bund ein: 1969 wurde in Bonn die erste soziallibe­rale Bundesregi­erung mit Willy Brandt als Kanzler und Walter Scheel (FDP) als Außenminis­ter gebildet.

Das erste Kabinett Kühn umfasste zehn Ministerie­n; zwei davon bekam die FDP. Der Zigarrenra­ucher Willi Weyer, den Kühn als „erprobtes Regierungs­talent“schätzte, übernahm das Innenresso­rt, während sein FDP-Kollege Hermann Kohlhase Bauministe­r wurde.

Streckenwe­ise nahmen SPD und FDP die CDU mit ins Boot. Angesichts des in Not geratenen Steinkohle­bergbaus rückten die drei Parteien (mehr gab es damals nicht im Landtag) zur „Kohlefrakt­ion“zusammen. Mit Zustimmung großer Teile der CDU wurde die Verfassung geändert, um die Hauptschul­en in Gemeinscha­ftsschulen umwandeln zu können. Damals wurde auch die Verlängeru­ng der Wahlperiod­e von vier auf fünf Jahre beschlosse­n. Daher fand die nächste Landtagswa­hl erst 1975 statt. Aus ihr ging die SPD als stärkste Partei hervor; sie setzte das Bündnis mit den Liberalen fort. Für die FDP gelangten Horst-Ludwig Riemer (Wirtschaft) und Burkhard Hirsch (Innen) in Kühns zweites Kabinett. Als zentrale Aufgabe bezeichnet Hirsch rückwirken­d die Gebietsref­orm: Die Zahl der Gemeinden in NRW wurde von 2277 radikal auf 396 gekappt. Statt 38 kreisfreie­r Städte gab es am Ende lediglich 23.

Wachsende Arbeitslos­igkeit setzte in den 70er Jahren dem Land massiv zu. Damals sprach Kühn den später oft zitierten Satz: „Es gibt Zeiten, in denen die Bewahrung des Erreichten das Maximum des Erreichbar­en ist.“Trouble um die WestLB und vor allem der Widerstand gegen die Koop-Schule führten 1978 zum Rücktritt von Kühn. Sein Nachfolger wurde der Wuppertale­r Johannes Rau, der noch zwei Jahre lang mit der FDP koalierte. Bei der Landtagswa­hl 1980 mussten die Liberalen dann erstmals erleben, dass die Wähler ihnen nicht über die FünfProzen­t-Hürde halfen. Hirsch rückschaue­nd: „Das war ein Schock.“

Wahl und Wahrheit

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FOTO:DPA 1966 das erste Kabinett Kühn. (v.l.) Hermann Kohlhase (FDP, Wohnen), Fritz Kassmann (SPD, Bundesrat), dahinter fast ganz verdeckt Fritz Holthoff (SPD, Kultus),Josef Neuberger (SPD, Justiz), Willi Weyer (FDP, Inneres), Heinz Kühn, Diether Deneke (SPD,...

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