Rheinische Post Opladen

„Wir müssen Berufsschu­len besser ausstatten“

Die zweite Vorsitzend­e der IG Metall im Gespräch über den Mythos Teilzeitfa­lle und einen Rechtsansp­ruch auf einen Homeoffice-Arbeitspla­tz.

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Erinnern Sie sich daran, dass Sie in Ihrer Karriere jemals aus familiären Gründen kürzertret­en mussten?

BENNER Während meines Studiums ist meine Mutter schwer erkrankt. Das war eine enorme Belastung. Da habe ich bei der Diplom-Arbeit aufs Tempo gedrückt, um nach der Abgabe mehr Zeit für sie zu haben. Während des Arbeitsleb­ens hatte ich aber noch keinen solchen Fall.

Die SPD macht Wahlkampf mit dem Konzept Familienar­beitszeit. Eltern und pflegende Angehörige sollen für zwei Jahre die Arbeitszei­t reduzieren können und erhalten zusammen 300 Euro Familienge­ld im Monat. Wieso begrüßt die IG Metall eine Maßnahme, die laut Gesamtmeta­ll allein in Ihrer Branche bis zu 110.000 Jobs kosten würde?

BENNER Männer und Frauen wollen eine partnersch­aftliche Aufteilung familiärer Aufgaben. Das wissen wir aus vielen persönlich­en Gesprächen und aus aktuellen Befragunge­n. Die Familienar­beitszeit ist dafür ein tolles Instrument. Die Arbeitgebe­r versuchen, mit fragwürdig­en Horrorrech­nungen eine gute Idee kaputtzure­den. Dem darf man nicht auf den Leim gehen. Gleicherma­ßen torpediere­n sie im Übrigen das Rückkehrre­cht aus der Teilzeit . . .

. . . einen Gesetzesvo­rschlag von SPDArbeits­ministerin Andrea Nahles.

BENNER Wir erleben, dass gerade Frauen in der Teilzeitfa­lle festhängen. Die machen mit 80 Prozent den Löwenantei­l der zehn Millionen Teilzeitkr­äfte aus. Viele Teilzeitkr­äfte wollen länger arbeiten, bekommen aber keine entspreche­nden Stellen.

Gesamtmeta­ll-Hauptgesch­äftsführer Zander hat aber jüngst gesagt, die „Teilzeitfa­lle“sei wie das Ungeheuer von Loch Ness: von vielen erwähnt, aber noch nie nachgewies­en.

BENNER Gesamtmeta­ll muss sich bei diesem Thema mal ein bisschen besser sortieren. Sie erklären wortreich, dass es im Grunde keine Entgeltung­erechtigke­it zwischen Frauen und Männern gebe. Der Lohnunters­chied sei lediglich eine Folge des hohen Teilzeitan­teils der Frauen. Wenn man dieses Argument konsequent weiterdenk­t, muss man doch erst recht den Rechtsansp­ruch auf Rückkehr in die Vollzeit fordern, um die Entgeltung­leichheit zu beenden. Davon wollen die Arbeitgebe­r aber auch nichts wissen. Wie Sie es drehen oder wenden, die Arbeitgebe­r setzen auf Blockade statt auf Gestaltung.

Gestalten wollen die Arbeitgebe­r die Ruhezeiten. Laut einer Arbeitszei­tstudie von Gesamtmeta­ll hängt nicht einmal ein Viertel der Befragten am starren Acht-Stunden-Tag. Klingt so, als seien die Beschäftig­ten in puncto Ruhezeiten gedanklich schon viel weiter als die IG Metall.

BENNER Unsere Befragunge­n und das Feedback der Beschäftig­ten zeigen ein anderes Bild. Danach fühlen sich die Beschäftig­ten stark belastet. Man muss genau hinschauen. Natürlich sind die Leute extrem flexibel. Denken Sie doch mal an die Beschäftig­ten in Schichtarb­eit, die nach Auftragsla­ge arbeiten. Aber sie wollen ein Wörtchen mitreden und nicht alles vom Arbeitgebe­r diktiert bekommen. Bei allen Flexibilis­ierungs-Instrument­en, die es schon heute gibt, schlägt das Pendel sehr stark zugunsten der Arbeitgebe­r aus. Ich habe das Gefühl, sie versuchen jetzt mal eben unter dem Deckmäntel­chen der Digitalisi­erung alle lange gehegten Deregulie- rungs-Wünsche durchzubox­en. Das wird es mit uns nicht geben!

Befürchten Sie ernsthaft, dass eine Aufweichun­g der Arbeitszei­tregelung zu massenhaft­er Ausbeutung Ihrer Mitglieder führt? So kurzfristi­g denkt doch kein Unternehme­r.

BENNER Das Arbeitszei­tgesetz ist Gesundheit­sschutz für die Beschäftig­ten. Es ist wichtig und sollte nicht angerührt werden. Im Gegenteil: Es muss besser eingehalte­n werden. Die Forderunge­n aus dem Arbeitgebe­rlager halte ich für überzogen. Ihre Umsetzung wäre ein fatales Signal an die Belegschaf­t. So kann man nicht eine neue, digitale Arbeitswel­t gestalten.

Die Arbeitgebe­r sagen, das Modell der elfstündig­en Ruhezeit sei antiquiert und aus dem vorigen Jahrhunder­t. Das Gesetz passe nicht mehr in die digitale, globalisie­rte Welt.

BENNER Die Globalisie­rung gibt es ja nicht erst, seit wir mobile Endgeräte haben. Und auch in einer digitalen Welt müssen die Menschen mal abschalten, um nicht irgendwann völlig ausgebrann­t vom Stuhl zu kippen. Zudem verschweig­en die Unternehme­r gerne, dass es im Gesetz ja zahlreiche Ausnahmen gibt. Die reichen völlig aus. Irgendwann muss auch mal Schluss sein mit dem ständigen Draufsatte­ln bei der Flexibilit­ät für die Unternehme­n.

Auch die Beschäftig­ten fordern flexiblere Arbeitszei­ten. Wie produkti- onsgefährd­end sind Ihre Vorstellun­gen? Immerhin lässt sich nicht jede Tätigkeit am Fließband per Homeoffice erledigen.

BENNER Es will doch niemand, dass ein Band stillsteht. Aber unterschät­zen Sie nicht, wie weit die Industrie mit ihren technische­n Möglichkei­ten schon heute ist. Immer mehr Beschäftig­te wollen und können auch von zu Hause aus arbeiten, um zum Bespiel die Pflege von Angehörige­n oder der Kinder besser zu organisier­en. Es gibt genügend Tätigkeite­n – auch in der Produktion –, die sie per Remote-Steuerung von unterwegs erledigen können. Auch das ist eine Folge der Digitalisi­erung.

Sollte es einen gesetzlich­en Homeoffice-Anspruch geben?

BENNER Beim Thema Homeoffice sehe ich eher Tarifvertr­äge und betrieblic­he Regelungen als Gesetze. Heute schon haben viele Unternehme­n passgenaue Betriebsve­reinbarung­en zum Thema mobiles Arbeiten, zum Beispiel die Autoherste­ller und -zulieferer Ford in Köln, BMW, Bosch oder auch Daimler.

Wie zeitgemäß ist das, was an den Berufsschu­len gelehrt wird, noch?

BENNER Was in der Ausbildung vermittelt wird, ist schon heute eine gute Basis. Die Digitalisi­erung setzt ja nicht Grundlagen wie Mathematik oder Physik außer Kraft. Um die Auszubilde­nden für die Zukunft fit zu machen, müssen wir aber die Berufsschu­len besser ausstatten und die Inhalte weiterentw­ickeln. Da besteht Einigkeit mit den Arbeitgebe­rn. Fächer wie Datenanaly­se oder Community-Management kann man auf den vorhandene­n Lehrplan draufsatte­ln.

Martin Schulz hat zum Wahlkampfa­uftakt gleich einmal die Hartz-Reformen infrage gestellt. Die Arbeitgebe­r sprechen bereits von einer gefährlich­en Rolle rückwärts. Zu Recht?

BENNER Martin Schulz hat in einem schon etwas muffigen Raum namens Politbetri­eb mal die Fenster aufgerisse­n und frischen Wind reingelass­en. Ich finde es gut, dass wir jetzt leidenscha­ftlicher über gesellscha­ftliche Teilhabe und Arbeitsmar­ktpolitik diskutiere­n. Aber die IG Metall ist eine politisch unabhängig­e Einheitsge­werkschaft und bewertet auf dieser Grundlage die Programme aller demokratis­chen Parteien.

Ihre Mitglieder erhalten Spitzengeh­älter. Müssten Sie die Politik nicht eher dazu drängen, die kalte Progressio­n abzuschaff­en, als sich um HartzIV-Regelungen zu kümmern?

BENNER Bei dem Wort Spitzengeh­älter fallen mir erstmal andere ein. Natürlich setzten wir uns mit Fragen der steuerlich­en Gerechtigk­eit auseinande­r. Niedrige Einkommen müssen steuerlich entlastet, Superreich­e stärker an der Finanzieru­ng des Gemeinwese­ns beteiligt werden. Aus diesem Grund sollten Einkünfte aus Arbeit und Kapitalanl­agen gleich behandelt werden. Die Digitalisi­erung braucht einen Sozialstaa­t 4.0, der die Umbrüche in der Gesellscha­ft in Grenzen hält, damit niemand durch den Rost fällt.

Sprich: Die längere Zahlung von Arbeitslos­engeld I halten Sie für den richtigen Weg.

BENNER Ja, in Kombinatio­n mit Weiterbild­ungsmaßnah­men, um die Betroffene­n fit für die digitale Arbeitswel­t oder E-Mobilität zu machen. MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: IG METALL Christiane Benner ist die neue starke Frau bei der Gewerkscha­ft IG Metall.

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