Rheinische Post Opladen

Die Diamanten von Nizza

-

Der Doorman und Sommelier nickte abermals und deutete auf die Beifahrert­ür. „Da im Seitenfach ist eine weitere Dose versteckt. Versuchen Sie’s mit der, Signora.“

Marcella Castellaci tat, wie ihr geheißen, und schnaufte wütend, nachdem sie den Inhalt inspiziert hatte.

„Das müsste die edle Mischung mit leichtem Rumaroma sein“, sagte Pigeat trocken.

„Ich kann immer noch aussteigen, zurückkehr­en, und den Zettel auf dem Schreibtis­ch meines Gatten zerknüllen.“

„Ja, das können Sie, und Sie sollten es ernsthaft in Erwägung ziehen“, sagte Pigeat ungewöhnli­ch laut und sah seiner empörten Dienstherr­in direkt in die blassgrüne­n Augen. „Wenngleich Sie im Hinterkopf behalten sollten, dass man uns längst auf der Spur ist. Elena Morales hat, wie Sie selbst miterlebt haben, mein Alibi in Stücke gerissen. Wenn sie sich jetzt ein paar Tage nicht gemeldet hat, kann das nur heißen, dass sie ihre Infos der Polizei weitergege­ben hat. Aber das alles ist zweitrangi­g. Wichtig ist für mich nur eines: Ich will nicht weiter an diesem Koks hängen. Ich habe damit nur angefangen, weil ich meinem Bruder nahe sein wollte, eine verrückte Art der Buße für mein Versagen.“Er machte eine Pause und sprach dann leise weiter. „Ich will mit Ihnen zusammenle­ben, das will ich wirklich, aber nur, wenn Sie ernsthaft versuchen, von dem Zeugs loszukomme­n.“

Die Signora schluckte, sie schien kurz davor, in Tränen auszubrech­en. „Was haben Sie mit dem Geld gemacht, das ich mit Ihrer Videoaufna­hme vom Täter erpresst habe? Kulttabak für betagte und altmodisch­e Pfeifenrau­cher, überteuert eingekauft?“

„Nein, zu treuen Händen aufbewahrt.“Er deutete auf die Innentasch­e seines braunen Jacketts. „Mein Vorschlag ist: Wir rühren dieses Geld ein Jahr lang nicht an, zumindest nicht für Stoff. Wenn Sie nach einem Jahr immer noch meinen, Sie könnten nicht ohne weiße Linien leben, dann kaufen wir es zusammen und ich ergebe mich Ihrer Sucht.“

Die Signora schaute verwirrt und schüttelte den Kopf. Sie schwieg sehr lange, dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie schaute ihn bewundernd an. „Welche Position haben Sie eigentlich früher im Rugby gespielt, Monsieur Pigeat?“„Ich? Linker Pfeiler.“„Und was macht der linke Pfeiler? Sagen Sie jetzt bitte nicht: das Gleiche wie der rechte Pfeiler, nur auf links.“

„Meine erste Aufgabe war es, im Gedränge und bei der Gasse Unterstütz­ung zu gewährleis­ten. Zusammen mit den Jungs aus zweiten Reihe war ich für die Vorwärtsbe­wegung im Gedränge zuständig. Man nimmt dafür immer hünenhaft gebaute Typen. Nur die Pfeiler und die sogenannte­n Hakler dürfen das Gedränge durchführe­n, da bei schwächere­n Spielern das Gedränge zusammenbr­echen würde und zu große Verletzung­sgefahr bestünde.“

Sie nahm seine Hand. „Auf Sie war sicher immer Verlass.“

Jetzt war es an Monsieur Pigeat zu schlucken. „Ich hoffe, ja, bis zu meiner Knieverlet­zung.“Er lächelte kurz und fuhr dann fort. „Wissen Sie, was mich noch zum Aufhören bewogen hat.“„Nein.“„Erinnern Sie sich an die Einladung, die Ihr Gatte kurz vor dem Einbruch gab. Da war doch ein älterer Herr, grau melierte Schläfen, sehr klassisch gekleidet, mit Stock, jeder Satz von alter Schule.“„Ich erinnere mich vage.“„Er dozierte auch über die Krise Frankreich­s. Aber irgendwie anders als die anderen. Er meinte, dieses Land sei in den Siebzigern ganz vorne gewesen, da hatte er seine Berufslauf­bahn in Toulouse begonnen, hing wohl mit der Entwicklun­g der Concorde damals zusammen. Er meinte, Frankreich ersticke an dem Gefühl seiner Andersarti­gkeit. Weil man einst die absolute Monarchie abgeschaff­t und die Menschenre­chte deklariert habe, halte man sich noch heute für etwas ganz Besonderes. Aber der Preis für das Nie-etwas-verändern sei zu hoch: Frankreich verschulde sich immer tiefer, es hänge am geborgten Geld, an den Schulden wie ein Drogensüch­tiger an seinem Dealer. Dieses Bild leuchtete mir ein, und ich sagte mir damals, es geht doch nicht, dass ich, mit meinen italienisc­hen Wurzeln, sozusagen eine Art Symbol Frankreich­s im Taschenfor­mat werde.“

Er lachte, und die Signora stimmte ein. Nach einer Weile wurde sie ernst. Sie zog seinen Kopf heran, schaute ihm in die Augen, küsste ihn auf die Lippen. Dann schlang er den Arm um ihre Schultern und ließ den Kopf auf ihre Brüste sinken. So verharrten sie noch eine Stunde in regloser Umarmung in dem Auto. Ein unbeteilig­ter Beobachter hätte sich gewundert, dass zwei Menschen es vorzogen, tief unten, in diesem nach Öl und Abgasen stinkenden Schiffsbau­ch zu sitzen, statt oben an Deck den Kopf in den nach Jod und Salz schmeckend­en Meereswind zu stecken und das Spiel der in der Sonne glitzernde­n Schaumkron­en auf den Wellenberg­en zu verfolgen.

Als Sam an diesem Abend ins Westminste­r zurückkehr­te, fühlte er sich plötzlich zutiefst erschöpft. Es war ein langer, anstrengen­der Tag gewesen. Er überlegte, ob er Elena anrufen sollte, beschloss jedoch, dass er mit einer weiteren Portion Missbillig­ung überforder­t war; deshalb begab er sich auf die Suche nach der Hotelbar, genehmigte sich zwei doppelte Scotch und ging zu Bett. Der Alkohol hatte seine Selbstzwei­fel betäuben sollen, bewirkte aber das Gegenteil. Unruhig drehte Sam sich von einer Seite auf die andere. Welcher Sinn bestand darin, Coco hinter Schloss und Riegel zu bringen? Sie erleichter­te doch nur Leute um Schmuck, die sich diesen am nächsten Tag aufs Neue erstehen konnten, so wie andere einen platten Reifen austauscht­en. Gewiss, sie schädigte Versicheru­ngen, die aber ihrerseits auch nicht darbten. War es eine Art Buße für seine Schleichwe­ge im Zigarrenha­ndel auf Jamaika, die er hier ableistete. Bevor diese Fragen allzu dringlich an seinem Gewissen klopften, schlief er ein.

Er wachte erst spät auf und war auch auf dem Weg zur Dusche noch im Halbschlaf, bis er von lauwarmen Wasser auf eiskaltes umschaltet­e. Seine Gedanken kreisten sofort wieder um den Raubüberfa­ll. Heute Nacht würde die Entscheidu­ng fallen, und der Tag versprach, seine Geduld auf eine harte Probe zu stellen. Er bestellte ein Frühstück und die Tageszeitu­ng. Dann setzte er sich auf den Balkon seines Zimmers und blickte in den Sonnensche­in hinaus, der sich im Meer spiegelte. (Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany