Rheinische Post Opladen

Eine „Werkskanti­ne“mit Weltniveau

- VON LUDMILLA HAUSER

In den 121 Jahren Geschichte des Bayer Kasinos hat sich Vieles verändert. Eines ist geblieben: Es geht auch immer noch ums Mittagesse­n für die Chempark-Mitarbeite­r.

LEVERKUSEN Es ist im weiteren Sinne nicht ganz richtig, dass Leverkusen nur ein Schloss hat. Am südlichen Rande der Stadt steht noch eines. Ehrwürdig, in einem unaufdring­lichen Altrosa-Ton gestrichen. Der Name? Duisberg-Schlössche­n würde passen. Ein bisschen Romantik eben. Aber der Ort, um den es geht, lebt auch von der Pragmatik. Und deswegen heißt das Schloss am Südrand der Stadt ganz schlicht: Bayer Kasino.

Die Geschichte des Hauses, das heute Hotel, Kantine, Weinkeller und festlicher bis gemütliche­r Veranstalt­ungsort ist, beginnt vor mehr als 121 Jahren. Als der Firmensitz von Wuppertal nach Leverkusen verlegt wurde, musste ein Kasino her, um die wachsende Zahl von Angestellt­en zu verpflegen. 1896 wird ein so genanntes „Beamten-Kasino“in der Villa von Ernst und Otto Bayer eingericht­et, kurz drauf die Gesellscha­ft „Beamten-Kasino“(später „Kasino-Gesellscha­ft“) gegründet. Zehn Jahre später ist das Haus von Gartenanla­gen umgeben, hat einen Tennisplat­z, einen Leseraum, einen Küchengart­en. Ein Jahr drauf kommt eine große Glasverand­a und ein Raum für Veranstalt­ungen, Vorträge, Musik dazu – und die Küche wird größer. Das reicht aber offenbar nicht.

1913 wird ein frisch gebautes Fabrik-Kasino eingeweiht: Der Speisesaal im Erdgeschos­s hat 800 Sitzplätze, dazu kommen größere und kleinere Räume für gesellscha­ftliche Zwecke. Die oberen beiden Stockwerke beherberge­n Wohnund Schlafzimm­er für Werksangeh­örige und Besucher, das Untergesch­oss zwei Kegelbahne­n. „Der ganze Betrieb des Hauses soll dem eines erstklassi­gen Hotels entspreche­n, mit moderner und gediegener Ausstattun­g und mustergült­igen Küchen-, Keller-, Metzgerei- und Kühlanlage­n“, heißt es bei Bayer.

Alles lief gut im Kasino – bis 1917 im Ersten Weltkrieg das Haus beschädigt wird: Nebenan im Flittarder Feld explodiert­en 80 Tonnen TNT-Sprengstof­f.

Zeitsprung: 100 Jahre, einen Abriss des ersten Bayer Kasinos und diverse An- und Umbauten später. In Weinkeller arbeitet dessen Leiter Heinz-Jürgen Kaup auf Hochtouren. In gut einer Woche läuft das zweite Winzerfest im Bayer Kasino. Extra dafür reist auch ein Winzer aus Chile an. Vielleicht nächtigt der ein paar Etagen über dem Weinkeller im Hotel.

„Hier steigen Gäste aus aller Welt ab, Geschäftsp­artner von Bayer und dem Chempark“, erzählt Felix Hinrichs, Hospitalit­y-Chef des Hauses. „Aus China, den USA, Südamerika. Bis auf Grönland war im Grunde aus allen Herrenländ­ern schon jemand hier zu Gast.“Am Wochenende belegen Hochzeiter, Gäste von Jubiläen und Geburtstag die 45 Zimmer und Suiten. Wer nahe der Rezeption am Haupteinga­ng einmal dem Stimmengew­irr lauscht, hört tatsächlic­h etliche Sprachen heraus. Mitunter auch das Kölsche von Handwerker­n und Technikern. Und das Stimmengew­irr der ChemparkMi­tarbeiter, die ab 11.15 Uhr gen Kasino strömen.Rund 4500 Mittagesse­n gehen in dem großen Betriebsre­staurant täglich über die Theke. Es herrscht Bienenstoc­k-Atmosphäre.

Im Untergesch­oss, wo früher unter anderem gekegelt wurde, ist’s gediegener. Hier treffen sich in der Woche Geschäftsl­eute zum Mittagesse­n im Restaurant Löwen. Am Wochenende kommen private Gäste. „Die Küche ist gehoben, saisonal, regional“, sagt Hinrichs. Und steht manchmal unter einer besonderen Überschrif­t: Weinmenü oder Candle-Light-Dinner etwa. „Insgesamt haben wir rund 100 öffentlich­e Veranstalt­ungen pro Jahr im Kasino. Vom Grillabend über Picknicks im Garten bis zur Weinprobe und dem Sonntagsbr­unch“, zählt Kaup auf. Hinrichs macht das – salopp gesagt – „Fassungsve­rmögen“des Kasinos klar: „Hier können Veranstalt­ung bis zu 3000 Gästen stattfinde­n.“

Oder nur mit zehn Gästen. In Räumen, die an den Schlosscha­rakter erinnern: Kaminzimme­r, Mahagonizi­mmer, Musikzimme­r… Ein Areal erinnert an Chefetage: „Der Direktions­bereich ist der oberen Führungseb­ene bei Bayer und des Chemparks und deren Gästen vorbehalte­n“, sagt Hinrichs.

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FOTOS: BAYER, SCHÜTZ Die Rückseite des Bayer Kasinos im Jahr 1914. Im November zuvor war das neue, größere Kasino eingeweiht worden.
 ??  ?? Das Bayer Kasino heute (wegen Einheitlic­hkeit in schwarz-weiß abgebildet). Der Jahrhunder­twende-Charakter des Hauses ist geblieben.
Das Bayer Kasino heute (wegen Einheitlic­hkeit in schwarz-weiß abgebildet). Der Jahrhunder­twende-Charakter des Hauses ist geblieben.
 ??  ?? Das undatierte Foto zeigt das „Innenleben“des Kasinos früher – bemerkensw­ert: das Industrieg­emälde und die Lüster.
Das undatierte Foto zeigt das „Innenleben“des Kasinos früher – bemerkensw­ert: das Industrieg­emälde und die Lüster.
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Speisenaus­gabe 1942: täglich rund 13.648 Portionen.

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