Rheinische Post Opladen

Alles schaut auf Christian Lindner

Die Liberalen wählen ihren Parteichef mit 91 Prozent wieder. Sie befinden sich aber weiterhin in einem riskanten Umfrageber­eich, der für „Özilgate“und andere Zwischenfä­lle anfällig ist.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Er sei schon „richtig heiß darauf, im Herbst wieder in den Bundestag einzuziehe­n“, meint Thomas Möhle, und der 24-Jährige aus Niedersach­sen gibt damit die Stimmung aller 662 Delegierte­n wieder, die sich für drei Tage schon mal in Berlin eingefunde­n haben. In jener Stadt, in der die FDP nach dem 24. September in ihrem alten Fraktionss­aal wieder das Licht anknipsen will. Eine Flamme brennt im Parteitags­saal schon mal. Sehr plakativ als Parteitags­emblem das Warnzeiche­n für „leicht entzündlic­h“aufgreifen­d und mit der Parole „Schauen wir nicht länger zu“verbunden.

Der Warnhinwei­s mag sich unbeabsich­tigt auch auf die frühere, über Jahrzehnte erfahrene Gewissheit beziehen, dass man allen UmfrageAch­terbahnfah­rten zum Trotz am Ende weiter im Bundestag sitzen werde. 2013 ist diese Gewissheit in Flammen aufgegange­n. Und auch jetzt kann die von der Hoffnung zur Riesenerwa­rtung gewachsene Wiedereinz­ugsperspek­tive immer noch in Asche enden. Wie eine „stinkende Leiche“habe seine Partei nach dem Wahldesast­er von 2013 gewirkt, meint Parteichef Christian Lindner. Und er spricht dann von den 1315 Tagen in der außerparla­mentarisch­en Opposition seither, die so rau gewesen seien, dass seine nun „wettergege­rbte“Partei so schnell nichts mehr umhaue. Sicher, das Comeback sei „noch lange nicht erreicht“, aber es gebe inzwischen wieder eine Chance darauf.

Wie schnell sich die FDP sicher Geglaubtes im Vorübergeh­en auch jetzt noch selbst kaputtmach­en kann, wird gleich zu Beginn des Parteitage­s an einer scheinbare­n Nebensächl­ichkeit deutlich. Die Regularien sind schnell abgearbeit­et, flugs schreiten die Delegierte­n zu einer beiläufige­n Satzungsän­derung. Die elektronis­che Abstimmung bringt das erwartete Votum: 80,81 Prozent, die erforderli­che Zweidritte­l-Mehrheit ist klar gegeben. Beifall, nächster Punkt. Später räumt das Präsidium kleinmütig ein, dass die Zahl der Ja-Stimmen nicht die zweite nötige Hürde genommen hat: mehr als die Hälfte der Stimmberec­htigten. Satzungsän­derung gescheiter­t. Bezeichnen­derweise steht das fest um fünf vor zwölf.

Viereinhal­b Stunden später haben die Delegierte­n Lindner mit 91 Prozent wiedergewä­hlt. Ein Punkt weniger als vor zwei Jahren, aber zwölf mehr als 2013, als er die in Trümmern liegende Partei übernahm. Lindner nennt es ein „wirklich motivieren­des Votum“. Vor allem ist es ein ehrliches und verlässlic­hes. Eigentlich müssten die Liberalen Lindner ähnlich dankbar sein wie die Sozialdemo­kraten ihrem Hoffnungst­räger Martin Schulz. Doch dessen Hundert-Prozent-Ergebnis hätte zur FDP gepasst wie ein Exerzierpl­atz zu einer Hippie-Kommune. Sie reißen sich zwar zusammen wie nie zuvor in ihrer Geschichte, haben sich systematis­ch abgewöhnt, schlecht übereinand­er zu reden. Aber mit Uniformitä­t würde sich diese Partei verraten.

Permanent zwischen fünf und sieben Prozent zu stecken, ist zwar angenehmer als die 2013er Werte zwischen drei und vier. Aber es bleibt ein riskanter Wert, der schnell das erneute und damit wohl endgültige Aus bedeuten könnte. Zum Beispiel mit einer unbedachte­n Äußerung, die Wellen schlägt und Irritation­en auslöst. So wie zum Beispiel Lindners Wunsch, der türkischst­ämmige Nationalsp­ieler Mesut Özil möge die Nationalhy­mne mitsingen. Lindner greift es in seiner Rede selbst als „Özilgate“auf, was an Untergangs­definition­en seit dem amerikanis­chen Watergate-Desaster erinnert. Gewöhnlich empfehlen Kommunikat­ionsberate­r, derlei Dinge keinesfall­s anzusprech­en. Lindner glaubt, darüberzus­tehen. Ja, er betont, hätte er gewusst, welch ungeahnte Resonanz er damit haben würde, er hätte „genauso gehandelt“.

Es ist also dünnes Eis, auf dem sich die Partei bewegt, aber mit kaum noch zu bändigende­m Selbstbewu­sstsein. Sie ist gewillt, die Fehler der Jahre vor 2013 nicht zu wiederhole­n. Die Kompetenz für einfache, niedrige und gerechte Steuern will sie sich nicht nehmen lassen, wie Lindner mit seinen Attacken auf Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) unterstrei­cht. Wenn dieser, der den Bürgern ansonsten keinen Cent gönne, nun selbst eine 15-Milliarden-Steuererle­ichterung ins Schaufenst­er stelle, dann heiße das, „dass 30 bis 40 Milliarden möglich sind“. Aber eine Verengung auf ein (Steuer-)Thema will diese Partei vermeiden. Und sie müht sich, das Image der KlientelPa­rtei abzustreif­en. Die Kritik der Apotheker-Lobby an der FDP-Haltung zu mehr Wettbewerb durch Versandapo­theken kommt ihr wie gerufen. Erst recht die Drohung, „kein Apotheker“werde mehr die FDP wählen.

Die Partei versammelt sich zudem hinter Lindners Kurs, ohne Koalitions­aussage in den Wahlkampf zu ziehen. Lindners Vize, der mit 92 Prozent wiedergewä­hlte Wolfgang Kubicki, bringt es plastisch auf den Punkt, als er gefragt wird, warum er sich das alles mit 65 Jahren noch antue. „Wieso mir?“, fragt der Kieler zurück. „Ich tue nicht mir das an, sondern Angela Merkel und Martin Schulz.“Mit mangelndem Selbstbewu­sstsein hat diese FDP keine Probleme mehr. Ursprüngli­ch hatte Lindner ihr mal „Demut“empfohlen.

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