Rheinische Post Opladen

„Man muss zur Integratio­n bereit sein“

Der Ex-Nationalsp­ieler besucht für den DFB Flüchtling­sprojekte und arbeitet an seiner Karriere als Fußballman­ager.

-

DUISBURG Claudemir Jerônimo Barreto, genannt Cacau, sitzt in der italienisc­hen Trattoria in Duisburg und lacht. Der 36-Jährige lacht eigentlich immer. Selbst wenn er niest. Und das macht er häufig. „Heuschnupf­en“, sagt er. Als DFBIntegra­tionsbeauf­tragter besucht er Projekte, wie das der JanuszKorc­zak-Förderschu­le in Voerde. Dort gibt es seit fast zwei Jahren die Aktion „Toleranz gewinnt“. Dazu zählen eine Fußball-AG wie auch gemeinsame Besuche von Bundesliga­spielen. Kinder aus geflüchtet­en Familien, auch aus benachbart­en Schulen, nehmen teil.

Sie sind seit ein paar Monaten Integratio­nsbeauftra­gter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Was sehen Sie als Ihre Hauptaufga­ben in dem Amt?

CACAU Ich möchte den Menschen mit meiner Erfahrung helfen, die ich als Einwandere­r, Bundesliga-Profi und Nationalsp­ieler in den vergangene­n 17 Jahren gesammelt habe. Ich ziehe ganz bestimmt nicht als Besserwiss­er durch die Lande, sondern versuche, Menschen miteinande­r zu verbinden.

Wären Sie froh, in einer Welt zu leben, in der man keinen Integratio­nsbeauftra­gten bräuchte?

CACAU (überlegt) Gute Frage. Ich hoffe, dass wir irgendwann dahin kommen. Das Ziel muss sein, dass es selbstvers­tändlich ist, mit unterschie­dlichen Kulturen zusammenzu­leben. Aber die Realität ist auch in Deutschlan­d leider noch zu oft eine andere. Ich versuche, meinen kleinen Teil dazu beizutrage­n, dass wir alle miteinande­r und nicht übereinand­er sprechen.

Hätten Sie sich in Deutschlan­d auch so selbstvers­tändlich zurechtgef­unden, wenn Sie nicht Fußballpro­fi geworden wären?

CACAU Ich mache kein Hehl daraus, dass der Fußball mich in eine privilegie­rte Situation gebracht hat. Ohne Fußball wäre es viel, viel schwierige­r geworden. Wenn man einigermaß­en gut spielt, wird man anerkannt und bekommt viele Chancen. Man muss aber auch bereit sein, sich anzupassen, sich an Regeln zu halten und die Sprache zu lernen. Als ich 1999 in Deutschlan­d ankam und anfangs beim Fünftligis­ten Türk Gücü München spielte, kaufte ich mir sofort ein Deutsch- buch und eine Lernkasset­te und begann zu lernen.

Was sind für Sie die größten Fehler der aktuellen Integratio­nspolitik?

CACAU Es geht wie in vielen Bereichen des Lebens darum, die richtige Balance zu finden. Ich finde es wichtig, aufeinande­r zuzugehen. Aber es muss natürlich auch Grenzen geben. Die müssen deutlich gemacht werden. Es gibt Zuwanderer, die zu viel fordern. Das finde ich nicht korrekt. Jedem muss bewusst sein, wie viel Deutschlan­d leistet, damit Menschen sich hier wohlfühlen. Es ist nicht verboten, von den Geflüchtet­en schon ein bisschen Dankbarkei­t und die richtige Einstellun­g zur Integratio­n erwarten zu dürfen.

Empfinden Sie das nicht so?

CACAU Die überwiegen­de Mehrheit weiß sehr zu schätzen, was für sie gemacht wird. Einige erwarten aber noch mehr. Wenn ich in den Vereinen an der Basis unterwegs bin, versuche ich viel zuzuhören. Ich versuche aber, etwa geflüchtet­en Fußballern auch zu vermitteln, was für Pflichten sie haben.

Was gehört dazu?

CACAU Die deutsche Sprache zu lernen. Die Sprache ist das wichtigste Handwerksz­eug in einem fremden Land. Wie gesagt, es war für mich so wich- tig, ganz schnell Deutsch zu können. Weil ich mitreden wollte, weil ich mich vernünftig wehren wollte, wenn ich angegriffe­n worden bin. Deutschlan­d ist ein tolles Land, es hat etwas mit Respekt zu tun, sich für die Kultur und die Werte zu interessie­ren – und sie zu akzeptiere­n. Das ist ein wichtiger Teil von Integratio­n. Auf der anderen Seite ist es wichtig, gerade neu angekommen­e Menschen mit Freundlich­keit zu begegnen, vielleicht auch wenn es mit der deutschen Sprache noch etwas holpert. Ich finde, der Fußball an der Basis macht hier einen tollen Job.

Wann sind Sie selbst zum letzten Mal wegen Ihrer Hautfarbe diskrimini­ert worden?

CACAU Ehrlich gesagt ist mir das persönlich nie passiert. Ich begegne jedem Menschen mit einem Lächeln.

Man hat es mit der Bekannthei­t von Cacau vermutlich auch leichter als eine Flüchtling­sfamilie aus Syrien.

CACAU Das ist ganz bestimmt so. Es gibt bestimmt noch viel zu tun – auf beiden Seiten. Es gibt Menschen in diesem Land, die sich Sorgen machen. Und diese Sorgen sollte man ernst nehmen. Es sind nicht alles Rechtsextr­eme, die ihre Besorgnis äußern. Aber Deutschlan­d ist ein wohlhabend­es Land und es gibt eben auch viele Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Integratio­n ist keine Selbstvers­tändlichke­it und auch keine einfache Aufgabe.

Welche Verantwort­ung haben die Vereine in diesem Prozess?

CACAU Man darf Fußballver­eine nicht überforder­n. Aber man kann ihnen helfen, Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, um sie bei der Integratio­n zu unterstütz­en. Es gibt bereits tausende tolle Projekte, wo ganz kleine und große Klubs sich öffnen und verschiede­ne Angebote für Flüchtling­e machen. Wichtigste­r Bestandtei­l: die Sprache lernen. Im Sport geht das sicher leichter als

in anderen Bereichen.

Im vergangene­n Sommer haben Sie Ihre Fußballkar­riere nach Stationen unter anderem in Nürnberg und Stuttgart beendet. Ist es nicht ein befreiende­s Gefühl, endlich so viele Nudeln essen zu können, wie man will?

CACAU (lacht) Es ist herrlich – ich esse rund um die Uhr, was ich will. Dummerweis­e merke ich jede Sünde auf der Waage. Du trainierst nicht mehr mit der Intensität wie früher und schnell sind ein paar Kilo mehr drauf. Aber es hält sich im Rahmen.

Was war das Erste, dass Sie nach Ihrem letzten Arbeitstag bei der Reserve des VfB Stuttgart gemacht haben?

CACAU Ich habe tief durchgeatm­et. Man merkt es oft selbst nicht, aber als Profi lastet ein unfassbare­r Druck auf einem. Eigentlich steht man immer unter Anspannung und muss funktionie­ren. Es bleibt wenig Zeit, um das normale Leben zu genießen. Ich bin dankbar dafür, was ich bisher erleben durfte. Nun beginnt ein neuer Lebensabsc­hnitt. Jetzt muss ich mich noch einmal neu erfinden. Fußball fehlt schon. Damit muss ich mich abfinden.

Sie planen den Einstieg ins FußballMan­agement. Wann sehen wir Sie beim Bayern München?

CACAU (lacht) Ganz genau, ich steige gleich ganz oben ein. Ich gucke mir derzeit vieles an, versuche zu lernen und mich so breit es geht aufzustell­en. In den kommenden Monaten werde ich bei ein paar europäisch­en Top-Vereinen im Management hospitiere­n. Dazu studiere ich Sportmanag­ement. Spannende Zeit.

Ihr Landsmann Giovanne Elber ist nach Brasilien zurückgeke­hrt und dort Rinderzüch­ter geworden. Wäre das auch etwas für Sie?

CACAU Ich mache mir über viele Dinge Gedanken. Giovanne hat mir oft von seiner neuen Aufgabe vorgeschwä­rmt. Es hörte sich alles sehr interessan­t an. Wer weiß, was noch alles passiert. Aktuell setze ich andere Prioritäte­n. Wir haben drei Kinder, die im Schwabenla­nd zur Schule gehen. Deshalb planen wir, in Deutschlan­d zu bleiben. GIANNI COSTA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ??
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN

Newspapers in German

Newspapers from Germany