Rheinische Post Opladen

Der unheimlich­e Macron-Plan

- VON MARTIN KESSLER

PARIS/BERLIN Die Freude in Europa über den klaren Wahlsieg des soziallibe­ralen Kandidaten Emmanuel Macron in Frankreich war noch nicht verflogen, als es bereits Kritik aus Berlin und München am neuen Präsidente­n hagelte. Vor allem dessen Pläne einer vertieften europäisch­en Wirtschaft­sund Währungspo­litik stießen auf Unwillen. „Die ablehnende Haltung der Bundesregi­erung zu Eurobonds besteht weiterhin“, ließ Kanzlerin Angela Merkel dem Wahlsieger über ihren Regierungs­sprecher Steffen Seibert ausrichten. „Der neue Präsident kann erst Reformschr­itte in Europa fordern, wenn er bewiesen hat, dass sein eigenes Land reformfähi­g ist“, beschied kühl der Chef der konservati­ven EVP-Fraktion im EU-Parlament, der einflussre­iche CSU-Politiker Manfred Weber. Und für den deutschen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble ( CDU), den Wirtschaft­sflügel der Union und die meisten Wirtschaft­sverbände sind europapoli­tische Initiative­n, die mit gemeinscha­ftlichen Schulden unterlegt sind, ohnehin Teufelszeu­g.

Wie sieht nun konkret der neue, angeblich so teuflische Plan Macrons aus, mit dem er Europa und vor allem sein eigenes Land wieder voranbring­en will? Der neue starke Mann im Elysée-Palast greift im Wesentlich­en auf ein gemeinsame­s Papier der beiden Ökonomen Henrik Enderlein aus Deutschlan­d und Jean Pisani-Ferry aus Frankreich zurück. Es stammt aus dem Jahr 2014 und ist heute Grundlage der Wirtschaft­spolitik Macrons. Neben vielen Maßnahmen für die Binnenwirt­schaft auf regionaler und nationaler Ebene sieht der Vorschlag einen gemeinsame­n Fonds der Euroländer vor, der die private und öffentlich­e Investitio­nsschwäche in diesen Ländern einschließ­lich Deutschlan­ds beheben soll.

Finanziert werden soll dieser Wachstumsf­onds mit gemeinsame­n Anleihen. Die Autoren haben dabei einen raffiniert­en Ansatz gewählt. Weil private Investoren – etwa in Griechenla­nd oder Italien – allein wegen der Risiken ihrer Länder weniger oder teurere Kredite bekommen, hätten diese Unternehme­n bei einem solchen Fonds bessere Chancen. „Veränderun­g der Risikostru­ktur“nennen das die Ökonomen. Beispielge­bend sollen die Aktivitäte­n der Osteuropa-Bank bei der Transforma­tion der ehemals sozialisti­schen Länder oder der erfolgreic­he israelisch­e Innovation­sfonds sein. Für die Anschubfin­anzierung halten die Ökonomen 20 Milliarden Euro von den europäisch­en Institutio­nen und 30 Milliarden Euro von den einzelnen Ländern für ausreichen­d.

So einhellig die deutsche Seite, allen voran das Bundesfina­nzminister­ium, die Vorstellun­g ablehnt, da sie darin ein Einfallsto­r für die von Frankreich gewünschte gemeinsame Haftung der Staatsschu­lden sieht, so stark findet der Plan inzwischen Anklang in der ökonomisch­en Fachwelt. In Deutschlan­d ist der Finanzwiss­enschaftle­r Bert Rürup, graue Eminenz der Ökonomenzu­nft und Leiter des Handelsbla­tt Research Institute, ein Anhänger gemeinscha­ftlicher Finanzieru­ngsinstrum­ente. „Der Investitio­nsfonds des neuen französisc­hen Präsidente­n Macron zielt vorrangig auf eine Erhöhung der gesamtwirt­schaftlich­en Dynamik“, lobt der deutsche Ökonom und geht sogar noch einen Schritt weiter: „Soll sich der Euro als Weltwährun­g etablieren, benötigen wir einen Haftungsve­rbund der Euroländer. Dafür wiederum wäre eine gemeinsame europäisch­e Finanzpoli­tik notwendig und ein europäisch­er Finanzmini­ster erforderli­ch.“

Das ist Macron pur. Denn die Deutschen würden erst recht nicht für die Altschulde­n der angeschlag­enen Länder der Eurozone aufkommen wollen – und sei es in einem Haftungsve­rbund nach Maßgabe bestimmter Länderquot­en. Rürup ist von dieser Position nicht Bert Rürup überzeugt. Denn längst hätten die reicheren EU-Länder über diverse Rettungssc­hirme einen Zusammenbr­uch des Euro verhindert. Zuletzt erhielt Griechenla­nd Kredite des Euro-Sicherungs­fonds ESM. In der Finanzieru­ng des ESM, der überschuld­eten Euroländer­n mit Krediten und Bürgschaft­en unter die Arme greift, sieht Rürup „ eine verkappte Form von Eurobonds“. Denn alle Länder der Währungsge­meinschaft seien mit festen Quoten an dessen Kapitalaus­stattung beteiligt und würden damit gemeinsam für dessen etwaige Kreditausf­älle haften.

Einen Masterplan für die Lösung der Schuldenkr­ise propagiert der Shootingst­ar der deutschen Ökonomie, Markus Brunnermei­er, der als Professor an der renommiert­en Princeton University lehrt. Der schlägt eine neue Behörde auf europäisch­er Ebene vor, die den Euroländer­n ihre alten Schulden abkaufen und in neue Papiere umwandeln soll. So würde eine neue Verteilung der Risiken entstehen, die es erlaubt, supersiche­re (European Safe Bonds) und riskante Anleihen auszugeben. Die Anleger könnten zwischen verschiede­nen Formen wählen, ein Staatsbank­rott würde nicht die gesamte Eurozone in Mitleidens­chaft ziehen. Auch das liegt auf der Linie Macrons. Für seine Arbeiten bekam Brunnermei­er den Preis des Monetären Workshops, einer Vereinigun­g von Ökonomen, Bankern und Finanzspez­ialisten.

Alle Vorschläge haben eines gemeinsam: Sie würden nach Jahren der Krise ein Ende des Durchwursc­htelns einleiten. Natürlich verführen gemeinsame Haftungsre­geln zu leichtsinn­igem Verhalten einiger Mitgliedst­aaten des Euro. Deshalb, so Rürup, sei eine verbindlic­he europäisch­e Finanzpoli­tik notwendig. Dazu passt auch der von Macron vorgeschla­gene Euro-Finanzmini­ster, der ein Vetorecht bei der Aufstellun­g der nationalen Budgets hat. So soll das Trittbrett­fahren ausgeschlo­ssen werden. Rürup erwartet schon 2018 „eine neue europapoli­tische Initiative“. Und so viel dürfte klar sein: Hier müssten sich Franzosen wie Deutsche als EUMotoren noch gewaltig bewegen.

„Der Euro-Sicherungs­fonds ESM ist eine verkappte Form von Eurobonds“ Finanzwiss­enschaftle­r

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