Rheinische Post Opladen

„Wenn Özil die Hymne singt, freue ich mich“

Der Bundesinne­nminister will die Debatte über Leitkultur fortsetzen und sieht gerade in NRW in Sachen Sicherheit noch viel Arbeit.

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BERLIN Thomas de Maizière (63) sitzt in seinem Büro im Innenminis­terium, blickt auf das Kanzleramt und studiert seinen Terminkale­nder. Viel NRW findet er darin. Dort tobt die Schlusspha­se des Wahlkampfs, und de Maizière ist als CDU-Politiker unterwegs. Im Gespräch geht es zunächst um die Gefahren von Cyber-Angriffen.

Cyber-Attacken auf den künftigen französisc­hen Präsidente­n Macron – fürchten Sie Ähnliches bei uns?

DE MAIZIÈRE Solche Beeinfluss­ungen machen uns natürlich Sorgen. Wir werden mit unseren französisc­hen Freunden genau analysiere­n, was da vorgegange­n ist. Das beste Mittel gegen Fake News ist schnellstm­ögliche Transparen­z. Viele Wählerinne­n und Wähler entscheide­n sich erst in den letzten Tagen. Deshalb müssen wir gewappnet sein, dass solche Manipulati­onen möglicherw­eise auch erst ganz zum Schluss versucht werden könnten.

Jenseits aller Schuldzuwe­isungen – was ist Ihr Fazit im Fall des Weihnachts­marktatten­täters Anis Amri?

DE MAIZIÈRE Die Sicherheit­sbehörden haben gemeinsam eine fatale Fehleinsch­ätzung über die Gefährlich­keit Amris getroffen. Deshalb habe ich veranlasst, dass das System zur Beurteilun­g der Gefährlich­keit von Personen mit neuen Methoden verbessert wird. Ich sehe aber noch weitere Lehren: Spätestens mit der Anerkennun­g seiner Staatsbürg­erschaft durch Tunesien hätte NRW wenigstens versuchen müssen, einen Antrag auf Abschiebeh­aft zu stellen. Und insgesamt gilt: Es darf keine Zonen unterschie­dlicher Sicherheit in Deutschlan­d geben. Es darf in NRW auf vergleichb­are Sachverhal­te keine anderen Reaktionen geben als in Berlin.

Wie wollen Sie das erreichen?

DE MAIZIÈRE Das Bundeskrim­inalamt ist dabei, das Instrument der Gefährlich­keitsprogn­ose zu verbessern und gemeinsam mit den Ländern zu einer Vereinheit­lichung auf dieser verbessert­en Grundlage zu kommen. Auch auf einem anderen Gebiet ist NRW besonders gefordert: Es darf nicht sein, dass ein Bundesland mit Außengrenz­en keine Schleierfa­hndung im Grenzraum erlaubt. Das geht nicht, dass ein Land sich bei so zentralen Themen einfach ausklinkt.

Experten bezweifeln, ob Schleierfa­hndung, also die verdachtsu­nabhängige Kontrolle, zum Beispiel gegen Einbrecher so viel bringt.

DE MAIZIÈRE Die große Mehrheit der Länder und der Bund sind sich einig, dass das ein wirksames Instrument ist. Das liegt doch auf der Hand. Die Schleierfa­hndung ist als Ausgleich zu den wegfallend­en Grenzkontr­ollen eingeführt worden. Ich kann nicht verstehen, wenn behauptet wird, jeder Blitzmarat­hon sei erfolgreic­h, Schleierfa­hndung aber nicht. Gezielte verdachtsu­nabhängige Kontrollen an Stellen, wo wir typischerw­eise damit rechnen, Rechtsvers­töße aufzudecke­n, sind sehr wirksam.

Ist es in NRW im Vergleich zu anderen Ländern weniger sicher?

DE MAIZIÈRE Die Zahlen der polizeilic­hen Kriminalst­atistik stützen diese These. Aber natürlich geht es in Ballungsge­bieten anders zu als in ländlichen Räumen, und NRW ist von solchen Ballungsge­bieten geprägt. Anderersei­ts ist München ebenso eine Millionens­tadt wie Köln, die Kriminalit­ätsbelastu­ng in München ist aber viel niedriger. Es gibt eindeutig Sicherheit­slücken in NRW.

Erinnern Sie sich an irgendeine­n Vorstoß von CDU-Spitzenkan­didat Laschet für mehr Sicherheit?

DE MAIZIÈRE Die NRW-CDU unter Armin Laschet hat eine Reihe wichtiger Vorstöße zur Verbesseru­ng der Sicherheit unternomme­n. Ich nenne nur die Themen Vorratsdat­enspeicher­ung, Schleierfa­hndung, Vi- deoüberwac­hung und die Vorschläge zur Stärkung der Sicherheit­sbehörden. Leider haben SPD und Grüne all dies blockiert. Und Armin Laschet hat mit Wolfgang Bosbach und Peter Neumann ausgezeich­nete Sicherheit­sexperten in seinem Team. Armin Laschet hat schon früh vor Ghettobild­ung und Parallelge­sellschaft­en mit No-go-Areas in NRW gewarnt.

Die FDP wird wieder stärker. Ziehen Sie Schwarz-Gelb einer großen Koalition vor?

DE MAIZIÈRE Die FDP steht der CDU natürlich insgesamt am nächsten. Aber im Sicherheit­sbereich haben wir im Bund mit der SPD deutlich mehr erreicht als mit der FDP. Nur zur Erinnerung: Die FDP in NRW hat die wichtigen Vorstöße von Armin Laschet zu Schleierfa­hndung, Videoüberw­achung oder Vorratsdat­enspeicher­ung ebenfalls samt und sonders abgelehnt. Wer mehr Sicherheit für NRW erreichen will, der muss CDU wählen und nicht FDP.

Ziehen Sie weitere Konsequenz­en daraus, dass der terrorverd­ächtige Oberleutna­nt Franco A. mit seinem Schein-Asylantrag erfolgreic­h war?

DE MAIZIÈRE Das war eine krasse Fehlentsch­eidung. Ich habe das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e angewiesen, eine sehr strenge Überprüfun­g vorzunehme­n. Jedes andere Verfahren, an dem die Entscheide­r im Fall A. beteiligt waren, wird penibel auf Fehler untersucht. Wir wollen darüber hinaus aber auch wissen, ob es Fehler im System gibt. Deshalb werden stichprobe­nartig je 1000 positive Bescheide von Syrern und von Afghanen unter die Lupe genommen. Ein erster Zwischenbe­richt über diese Prüfung wird schon Mitte des Monats vorliegen. Auf dieser Grundlage wird dann über mögliche Veränderun­gen in den Verfahren oder andere Konsequenz­en zu reden sein.

Sehen Sie rechtsextr­emistische Strukturen?

DE MAIZIÈRE Die gibt es, und wir reagieren darauf mit den Mitteln des Rechtsstaa­tes. Mit Verboten, Beobachtun­g und Verurteilu­ngen. Und wir wollen zum Beispiel alle sogenannte­n Reichsbürg­er entwaffnen. Bei ihnen sind grundsätzl­ich Zweifel an ihrer waffenrech­tlichen Zuverlässi­gkeit angebracht. Wir wollen bei der Novelle des Waffengese­tzes daher für den Verfassung­sschutz verbessert­e Möglichkei­ten einführen, um sowohl Extremiste­n zu entdecken, die schon Waffen haben, als auch diejenigen, die versuchen, an Waffen zu kommen.

Wenn so viel zu tun ist, warum haben Sie dann eine Leitkultur­debatte gestartet?

DE MAIZIÈRE Wir diskutiere­n Terrorabwe­hr, Parallelge­sellschaft­en, Wohnungsei­nbrüche, Gewaltdeli­kte. Das alles hat etwas zu tun mit dem Zustand unseres Landes. Ich bin Minister für die innere Verfassthe­it Deutschlan­ds, und dazu habe ich einen Beitrag geleistet. Die Diskussion zeigt mir, dass es einen großen Bedarf gibt. Was ich angestoßen habe, wird ein Dauerthema bleiben.

Warum reicht das Grundgeset­z nicht als Leitkultur?

DE MAIZIÈRE Das Grundgeset­z regelt Grundfreih­eiten, und zwar in einer wunderbare­n Weise. Aber wir müssen auch darüber sprechen, was uns über diesen verpflicht­enden Rechtekata­log hinaus im Innersten zusammenhä­lt. Und das ist, wie ich finde, mehr als das Grundgeset­z.

Sollte Mesut Özil die deutsche Nationalhy­mne singen?

DE MAIZIÈRE Ich bin gegen eine Vorschrift, dass er es tun muss oder tun sollte, aber für ihn gilt wie für alle Nationalsp­ieler: Ich freue mich, wenn sie es tun.

Braucht Deutschlan­d ein Integratio­nsminister­ium?

DE MAIZIÈRE Davon halte ich wenig. Nehmen Sie etwa die Bildung, die zentral ist für die Integratio­n. Soll ein Integratio­nsminister­ium das dem Bildungsmi­nisterium abnehmen? Oder die wichtige Integratio­n in den Arbeitsmar­kt. Soll ein Integratio­nsminister eigene Arbeitsage­nturen aufbauen? Natürlich lässt sich vieles noch besser verzahnen, etwa bei den Sprachkurs­en, aber damit hat diese Bundesregi­erung längst begonnen. Zur besseren Verzahnung kann auch gehören, dass wir das zersplitte­rte Recht in mehreren Gesetzbüch­ern zusammenfü­hren.

Was soll da alles rein?

DE MAIZIÈRE Es wäre sinnvoll, alle Bereiche von der Einwanderu­ng über die Integratio­n, die Staatsbürg­erschaft bis hin zum Aufenthalt in einem Gesetzespa­ket zu verbinden. Es ist eine große Aufgabe für die nächste Legislatur­periode, alle diese Fragen im Zusammenha­ng zu beantworte­n: Wie kommt man ins Land, wie hat man sich hier zu verhalten, wie wird man Staatsbürg­er, wann muss man das Land wieder verlassen?

Wie finden Sie, dass die CSU Joachim Herrmann als künftigen Innenminis­ter in die Bundespoli­tik schickt?

DE MAIZIÈRE CDU und CSU sind Schwesterp­arteien, jeder ist im Team willkommen. Über Positionen sollte man erst reden, wenn man eine Wahl gewonnen hat. Da rate ich allen zu mehr Demut. MICHAEL BRÖCKER UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: LAIF Thomas de Maizière (63, CDU) in seinem Büro im Bundesinne­nministeri­um. Von dort blickt er auf das Kanzleramt.

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