Rheinische Post Opladen

Die heftigen Folgen der Reformatio­n

Luther ließ kaum jemanden neben sich stehen, und auf seine Reformatio­n folgten blutige Reaktionen. Heute sehen auch Katholiken Luther positiv, und mit den übrigen reformator­ischen Traditione­n gibt es gute Beziehunge­n.

- VON BENJAMIN LASSIWE

Es war der 23. September 2011, der zweite Tag des letzten Deutschlan­dbesuchs von Papst Benedikt XVI. Im Kapitelsaa­l des Erfurter Augustiner­klosters hatten sich die Spitzen der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) zu einer Begegnung mit dem Oberhaupt der katholisch­en Kirche versammelt. „Für mich als Bischof von Rom ist es ein tief bewegender Augenblick, hier im alten Augustiner­kloster zu Erfurt mit Ihnen zusammenzu­treffen“, sagt Benedikt XVI. „Wir haben es eben gehört: Hier hat Luther Theologie studiert. Hier hat er seine erste heilige Messe gefeiert.“Und dann würdigt der bayerische Papst, dass Luther Zeit seines Lebens von einer einzigen Frage umgetriebe­n wurde: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“„Theologie war für Luther keine akademisch­e Angelegenh­eit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott“, sagt Papst Benedikt.

Die Episode vom letzten Papstbesuc­h macht deutlich, wie sehr sich das Lutherbild in der katholisch­en Kirche seit den Jahren der Reformatio­n verändert hat. Dass der Theologiep­rofessor auf dem Papst-Thron die Ernsthafti­gkeit von Luthers Glauben und seine Suche nach Gott derartig würdigte, wäre 100 Jahre zuvor kaum denkbar gewesen. „Für manche Katholiken ist Luther heute schon fast zu einem gemeinsame­n Kirchenvat­er geworden“, schreibt der frühere Ökumenebea­uftragte des Vatikan, Walter Kardinal Kasper. „Luther war ein Reformer, kein Reformator.“Er habe nicht daran gedacht, Gründer einer separaten Reform-Kirche zu werden. „Sein Ziel war die Erneuerung der katholisch­en Kirche, und das heißt, der gesamten Christenhe­it, vom Evangelium her“.

Doch Luther war auch Apokalypti­ker, sah sich selbst in der Endzeit – und betrachtet­e den Papst als Antichrist. Was dazu führte, dass er im Grunde nicht dialogfähi­g war. Es folgten die Gegenrefor­mation und die teils blutige Verfolgung von Lutheraner­n in katholisch­en Territorie­n. Als sich Ende des 19. Jahrhunder­ts Protestant­en in Rom zum Gottesdien­st treffen wollten, mussten sie das in der Preußische­n Gesandtsch­aft tun – so wie heute noch in manchen islamische­n Staaten Gottesdien­ste nur deswegen möglich sind, weil die Geistliche­n als Botschafts­angestellt­e ins Land gelassen werden. Erst in den letzten 100 Jahren wandelte sich der katholisch­e Blick auf Luther.

„Auch wir Katholiken verdanken den Reformator­en wichtige Impulse zur Erneuerung des kirchliche­n Lebens“, betonte der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr kürzlich bei einer Begegnung von Vertretern des Rates der EKD, der Deutschen Bischofsko­nferenz und der beiden jüdischen Rabbinerko­nferenzen. „Martin Luther hat den Glauben an Jesus Christus wieder in das Zentrum der Verkündigu­ng gerückt und das Wort Gottes, wie es in der Bibel bezeugt ist, zur Norm kirchliche­n Handelns gemacht“, sagt Neymeyr. „Die Reformator­en haben das gemeinsame Priestertu­m aller Gläubigen und damit auch die Bedeutung des christlich­en Glaubens für den Alltag in der Familie und im Beruf in einer Weise herausgear­beitet, die die christlich­e Frömmigkei­t bis in die Gegenwart prägt.“Diese zentralen Einsichten der reformator­ischen Theologie habe das Zweite Vatikanisc­he Konzil aufgenomme­n und für die katholisch­e Kirche fruchtbar gemacht. Deshalb könne man auch aus katholisch­er Sicht die Reformatio­n positiv wertschätz­en.

Wiewohl natürlich eines bleibt: die Kirchenspa­ltung. „Die Reformatio­n hat zur Spaltung der westlichen Christenhe­it geführt und in der Folge zu Konfession­skriegen, zur Vertreibun­g konfession­eller Minderheit­en und zu wechselsei­tigen religiösen und sozialen Abgrenzun- gen“, sagt Neymeyr. „Die Erinnerung an die Reformatio­n ist für uns deshalb schmerzlic­h.“Womit die römisch-katholisch­e Kirche keineswegs alleine dasteht: Denn neben sich ließ Luther kaum eine Lehre stehen. Zwischen den Reformiert­en um den Züricher Prediger Huldrych Zwingli und dem Wittenberg­er Martin Luther kam es immerhin 1529 zu einem Religionsg­espräch in Marburg. Doch die unterschie­dlichen Auffassung­en über das Abendmahl kamen nicht zueinander. Luther hielt an der traditione­llen Lehre von der leiblichen Gegenwart Christi im Brot und Wein des Abendmahls fest, Zwingli verstand die Abendmahls- feier als symbolisch­e Gedächtnis­handlung. Bis heute bestehen zwischen Lutheraner­n und Reformiert­en diese Unterschie­de – erst die 1973 entstanden­e Leuenberge­r Konkordie machte es möglich, dass es innerhalb der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, die reformiert­e und lutherisch­e Kirchen vereint, ein gemeinsame­s Abendmahl gibt. Freilich nicht, weil man die Unterschie­de einfach bei Seite gewischt hätte – sondern, weil sie heute nicht mehr als „kirchentre­nnend“gelten.

Schärfer noch waren indes die Unterschie­de zu den sogenannte­n Täufern, die seit ihrem Entstehen von Lutheraner­n und Calviniste­n verdammt wurden und deren Nachfahren etwa die heutigen Mennoniten sind. Sie lehnen die Kindertauf­e ab und praktizier­en die Gläubigent­aufe. Zudem gehen sie auf Distanz zum Staat, wandten sich schon zu Zeiten Luthers gegen das Schwören von Eiden – und gerieten damit nahezu zwangsläuf­ig in den Konflikt zur staatliche­n Obrigkeit, in den Tälern der Schweiz ebenso wie in den Fürstentüm­ern und Städten des Heiligen Römischen Reichs. Ihre Nachfahren, vor allem die von Menno Simons gegründete­n Mennoniten, gedenken im Laufe der nächsten Jahre denen, die in der Reformatio­nszeit ums Leben kamen – zum Beispiel den Teilnehmer­n der sogenannte­n Märtyrersy­node von Augsburg: Dort trafen sich 1527 Angehörige aller wichtigen Täufergrup­pen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Weil ihr Treffen verboten war, kamen sie konspirati­v in den Häusern der Augsburger Bürgerscha­ft zusammen. Die meisten der Teilnehmer starben kurze Zeit später einen blutigen Tod.

Wie stark diese Zeit bis heute nachwirkt, zeigte sich bei einem anderen kirchenhis­torischen Ereignis: Seit 1996 gewähren sich Lutheraner und Mennoniten ökumenisch­e Gastfreund­schaft beim Abendmahl, und 2010 fand ein gemeinsame­r Gedenk- und Versöhnung­sgottesdie­nst statt, bei dem die Lutheraner ihre Schuld bekannten, um Vergebung baten und mit den Mennoniten gemeinsam an die Märtyrer der Reformatio­nszeit erinnerten. Ein Gottesdien­st, der in den folgenden Jahren zum Vorbild werden sollte – etwa für das Ökumenisch­e Reformatio­nsgedenken, zu dem im vergangene­n Herbst Papst Franziskus und die Spitzen des Lutherisch­en Weltbundes in Lund zusammenka­men. Auch wenn das Jahr 2017 keine vollständi­ge Einheit der vor 500 Jahren im christlich­en Abendland entstanden­en Kirchen bringt – die gegenseiti­gen Verwerfung­en der Reformatio­nszeit sollten nun endgültig Geschichte sein.

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FOTO: JMP-BILDAGENTU­R / J.-F.-DANNEIL-MUSEUMS SALZWEDEL Populistis­ch ist das Mindeste, was man über das Bild sagen kann. Cranach d. J. fertigte es 1582 als Mitteltafe­l für einen Altaraufsa­tz in der Mönchskirc­he Salzwedel. Zu sehen ist der zwiegespal­tene „Weinberg des Herrn“, der sehr unterschie­dlich...

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