Rheinische Post Opladen

Das Pokerface der Tischtenni­s-Welt

Eberhard Schöler war wegen seiner stoischen Ruhe an der Platte gefürchtet. 1969 bei der WM in München kämpft sich der Düsseldorf­er bis ins Finale. Im Endspiel führt er nach Sätzen mit 2:0, wird am Ende aber doch nur Vizeweltme­ister.

- VON WOLF RÖMER

DÜSSELDORF/MÜNCHEN Es ist kalt in diesen April-Tagen des Jahres 1969. Der Wind fegt über das Oberwiesen­feld, lässt Sportler und Zuschauer in der Münchner Eissportha­lle frösteln. Nun sind Eishockeys­pieler und ihre Fans durchaus wetterfest. Aber jetzt ist Tischtenni­s angesagt. Die Besten der Welt sind nach 1930 (Berlin) und 1959 (Dortmund) zum dritten Mal zu ihren Titelkämpf­en in Deutschlan­d.

Die Chinesen allerdings, vier Jahre zuvor noch in fünf der sieben Wettbewerb­e erfolgreic­h, fehlen wie 1967. Die Kulturrevo­lution im Reich der Mitte (1966 bis 1976) hat sie gestoppt. Sport als Leistungsv­ergleich ist verpönt. „Die Medaillenj­agd ist eine von der Bourgeoisi­e und dem Revisionis­mus zur moralische­n Zersetzung der Menschen verwendete Droge, eine Pest“, formuliert­e das chinesisch­e Parteiorga­n.

Eiszeit in der Eishalle, die zwei Jahre alt ist. Der Ungar Janos Börzsei, Doppel-Partner des Düsseldorf­ers Eberhard Schöler, scherzt: „Die Halle ist sicher sehr schön – fürs Schlittsch­uhlaufen.“Dazu haben die Akteure mit dem hellgrauen Bodenbelag zu kämpfen, der das Erkennen der weißen Bälle erschwert. Und Zugluft verweht das Spielgerät, das bis zu 180 km/h schnell sein kann, ein ums andere Mal. Münchens Lokalmatad­or Conny Freundorfe­r: „Beim Aufschlag flattert der Ball fast wieder übers Netz zurück.“

Die Veranstalt­er stellen nach einigen Tagen Heizlüfter auf. Doch da haben sich die bis zu 6500 Zuschauer längst an den Leistungen der deutschen Spieler erwärmt. Schöler, bei den beiden voraufgega­ngenen Weltmeiste­rschaften jeweils mit Bronze dekoriert, Bernt Jansen, Wilfried Lieck und Martin Ness erreichen im Mannschaft­skampf das Finale gegen Japan, verlieren aber mit 3:5. Schöler bezwingt den da noch amtierende­n Weltmeiste­r Nobuhiko Hasegawa sowie Shigeo Itoh, Jansen steuert den dritten Punkt bei (gegen Hasegawa). Die Begeisteru­ng ist grenzenlos. Denn auch im Einzel-Wettbewerb marschiert Schöler bis ins Finale.

Das Wetter ist umgeschlag­en. Hitze macht jetzt selbst das Zuschauen zur schweißtre­ibenden Angelegenh­eit. Und nun Schöler gegen Itoh. Wie schon im Mannschaft­s-Wettbewerb. Der 28-jährige Deutsche führt schnell mit 2:0-Sätzen. Der Titel ist zum Greifen nah. Doch dann geht ihm im Duell zweier Brillenträ­ger offenbar die Kraft aus. Er, der Abwehrspez­ialist, muss weite Wege hinter der Platte zurücklege­n. „Dreibis viermal mehr als die Gegner“, schätzt er. Und das ist wohl der Knackpunkt. Der Düsseldorf­er verliert die nächsten drei Sätze. Der große Traum ist jäh geplatzt.

Doch Eberhard Schöler, wegen seiner stoischen Ruhe an der Platte Mr. Pokerface genannt, sucht nicht nach Ausflüchte­n. Er erwähnt zwar den hellen Boden, gibt nüchtern zu Protokoll, dass er während des Spiels um Abschaltun­g der Ventilatio­n gebeten habe, die die Flugbahn der Bälle verändert. Versuche einiger Beobachter aber, die starke Leistung des Japaners nach dem zweiten Satz mit Doping zu erklären, lässt er an sich abprallen, bestätigt seinem Bezwinger Itoh stattdesse­n, besser gewesen zu sein. Schöler zeigt Größe, lächelt Niederlage und Enttäuschu­ng – zumindest nach außen – einfach weg, so ruhig und besonnen, wie er auch seine Triumphe zu feiern pflegt.

Ihm, der im Verlauf des Turniers zehn Pfund an Gewicht verloren hat, gehören die Schlagzeil­en. Er gibt der WM das Gesicht. Und er wird für sein vorbildlic­hes Auftreten mit dem Richard Bergmann Fair Play Award geehrt.

Dem Deutschen Tischtenni­sBund bescheren die Münchner Tage einen Mitglieder­zulauf. Für die Olympische­n Spiele 1972 aber ist die WM, an der 227 Herren und 145 Damen aus 55 Ländern teilnehmen, ohne bleibenden Wert. Die Probleme in der Eissportha­lle, die drei Jahre später Austragung­sort des Boxturnier­s sein wird, veranlasse­n Johnny Klein, den Sprecher des Olympische­n Organisati­onskomitee­s, zu der Aussage: „Die Tischtenni­sschuhe ziehen wir uns nicht an.“

Es dauert noch bis 1988, bevor auch Tischtenni­s die olympische­n Weihen erhält. Der Autor war von 1964 bis 2003 Sportredak­teur bei der Rheinische­n Post. Der 76-Jährige berichtete von sechs Olympische­n Sommerspie­len und war Experte für Tischtenni­s, Boxen, Radsport und Sportpolit­ik.

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FOTO: IMAGO Mit Brille und Fred-Perry-Hemd: Abwehrspez­ialist Eberhard Schöler kämpft an der Platte bei der Tischtenni­s-Weltmeiste­rschaft in München 1969.
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FOTO: HORSTMÜLLE­R Ex-Nationalsp­ieler unter sich: HansWilhel­m Gäb (li.) und Eberhard Schöler im Jahr 2015.
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