Rheinische Post Opladen

„Die Wahlbeteil­igung in NRW wird steigen“

Der WDR-Fernsehdir­ektor und Wahlexpert­e erklärt, warum immer mehr Bürger ihre Entscheidu­ng erst sehr spät treffen.

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Wer gewinnt die Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen?

SCHÖNENBOR­N Wie heißt es so schön? „Einmal werden wir noch wach...“Wir haben im besten Sinne des Wortes ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach allen Daten, die ich kenne, liegen SPD und CDU gleichauf. Bei den jüngsten Landtagswa­hlen waren es am Ende die Spitzenkan­didaten, die den Ausschlag gegeben haben. Eine Vorhersage wage ich aber: Die Wahlbeteil­igung dürfte deutlich steigen. Denn je offener die Entscheidu­ng ist, desto höher ist auch der Anreiz, seine Stimme abzugeben.

Gibt es in Ihren Befragunge­n Auffälligk­eiten im Vergleich zu früher? Ist die Stimmung polarisier­ter, volatiler?

SCHÖNENBOR­N Da trügt die Erinnerung ein wenig. Erinnern Sie sich noch an den Wahlabend in NRW vor fünf Jahren? Das Ergebnis für die CDU hätte sich damals Norbert Röttgen wohl auch in seinen schlimmste­n Träumen nicht vorstellen können. Drei Monate vor der Wahl stand die CDU noch bei 35 Prozent, zehn Tage vorher bei 30. Das Ergebnis waren 26,3 Prozent. Nein, die entscheide­nde Veränderun­g liegt Mitte der 2000er Jahre. Bis dahin hatten wir relativ stabile Lager: Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Und vor allem die beiden Großen lebten von ihren Stammwähle­rn. Aber diese Zeiten sind vorbei.

Sind die Wähler heute so beliebig?

SCHÖNENBOR­N Eigentlich sind sie sehr rational. Die Unterschie­de zum Beispiel zwischen CDU und SPD sind in den letzten Jahren viel geringer geworden. Warum also früh festlegen? Sie warten ab, was im Wahlkampf noch passiert und wie die Spitzenkan­didaten auf sie wirken. Und haben oft auch im Hinterkopf, welche Koalition sie mit ihrer Stimme herbeiführ­en oder verhindern können. Das erklärt, warum wir immer mehr Spätentsch­eider haben.

Sind die Messinstru­mente schwach?

SCHÖNENBOR­N Umfragen, wie sie zum Beispiel ARD und ZDF in Auftrag geben, sind handwerkli­ch sehr gut. Aber sie zeichnen eben nur ein Stimmungsb­ild zum Zeitpunkt der Befragung. Wir wollen von Infratest Dimap ausdrückli­ch keine Prognose im Vorfeld, das wäre Kaffeesatz­leserei. Die einzige ernsthafte Prognose, die es gibt, sehen Sie am Sonntag um 18 Uhr. Dafür sind echte Wähler in echten Wahllokale­n direkt nach der Stimmabgab­e befragt worden. Und diese Prognosen gelten methodisch internatio­nal als Spitzenkla­sse.

Wenn immer mehr Menschen sich in den letzten 24 Stunden entscheide­n, sind dann Umfragen Monate und Wochen vor der Wahl noch sinnvoll?

SCHÖNENBOR­N Sie wären sinnlos, wenn sie eine Wette auf das Ergebnis wären. Tatsächlic­h aber liefern sie spannende Informatio­nen über die Wertschätz­ung für Kandidaten, wichtige Themen und die Meinungen dazu oder auch die Akzeptanz einer bestimmten Koalition. Viele Zuschauer oder Leser gucken sich das deshalb so genau an, weil sie sich darin wie- derfinden wollen und selbst Orientieru­ng für ihre Entscheidu­ng suchen. Aber in der ARD verzichten wir konsequent in der letzten Woche vor der Wahl auf alle Umfragen, weil wir die Wähler in Ruhe entscheide­n lassen wollen. Übrigens: Für uns sind Umfragen auch ein wichtiger Beitrag zur Transparen­z. Denn Regierunge­n und Parteien haben natürlich ihre eigenen Umfragen und Erkenntnis­se. Die veröffentl­ichen sie meist nicht, richten aber oft Politik danach aus. Da bin ich für Gleichbere­chtigung: Was Politiker wissen, sollen Wähler auch wissen. M. BRÖCKER STELLTE DIE FRAGEN.

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FOTO: DPA Jörg Schönenbor­n (52) präsentier­t im Ersten die Hochrechnu­ngen.

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