Rheinische Post Opladen

Wenn die Angst regiert

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Sogenannte Fake News können uns ja kaum noch schrecken. Sie gibt es, und sie kursieren durchs bunte Weltgesche­hen. Dies aber einfach achselzuck­end hinzunehme­n und als vermeintli­ch unbeteilig­ter Zuschauer zu verfolgen, wäre fatal. Dafür ist ihre Wirkung zu nachhaltig und ihre Attraktivi­tät zu groß. Denn Fake News – also gezielte Falschinfo­rmationen – dekonstrui­eren ja nicht nur die Wirklichke­it, sie schaffen eine neue; bis irgendwann kein Unterschie­d mehr zwischen Wahrheit und Lüge erkennbar wird: „Wenn Menschen Situatione­n als real behaupten, sind sie in ihren Konsequenz­en real“, hat schon zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts der amerikanis­che Soziologe William Isaac Thomas (1863–1947) geschriebe­n.

Um Fake News zu begreifen, muss man sich klarmachen, warum sie mehr denn je auf fruchtbare­n Boden fallen. Der Grund ist Angst. Was die Menschen ängstigt, ist eine unübersich­tlich gewordene Welt. Sie ängstigt eine Freiheit, an der sie selbst nicht teilhaben und deren Folgen sie nicht absehen können. Freihandel macht Angst, er kann Arbeitsplä­tze bedrohen und das Warenangeb­ot

An Verschwöru­ngstheorie­n glauben vor allem jene, die am Rande unserer Gesellscha­ft stehen.

im Supermarkt durcheinan­derbringen. Angst macht auch, was nicht richtig zu greifen ist – wie der Klimawande­l. Der wird gerne als „Pseudoreli­gion“stigmatisi­ert und ein menschlich­er Einfluss auf das Klima für unmöglich erklärt.

„Wer von Angst getrieben ist, vermeidet das Unangenehm­e, verleugnet das Wirkliche und verpasst das Mögliche. Angst macht die Menschen abhängig von Verführern, Betreuern und Spielern. Angst führt zur Tyrannei der Mehrheit, weil alle mit den Wölfen heulen, sie ermöglicht das Spiel mit der schweigend­en Masse“, schreibt der Soziologe Heinz Bude.

Forscher der Princeton University glauben ausfindig gemacht zu haben, wer für Verschwöru­ngstheorie­n in hohem Maße anfällig zu sein scheint: Außenseite­r. Die Wirklichke­it grundsätzl­ich infrage zu stellen, ist dann die Macht der Verunsiche­rten, vielleicht ist es sogar ihre einzige noch verblieben­e Macht, ein Widerstand, ein Aufbäumen und am Ende eine Selbstbeha­uptung.

Fake News gibt es schon lange. Die Wächter vor dem Grab Jesu wurden bestochen, damit sie aussagten, die Jünger hätten den Leichnam geraubt. Jede Fake News war den Herrschern recht, um zu vermeiden, dass die Prophezeiu­ng der wundersame­n Auferstehu­ng in die Welt gelangen konnte. Dieses Ereignis ließ sich nicht vertuschen. Göttliche Offenbarun­g ist den Menschen gegeben worden. Sie ist nicht verfügbar und resistent gegenüber Versuchen, sie zu verfälsche­n. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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