Rheinische Post Opladen

Oscar für den bösesten Bösewicht an Diego Simeone

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Noch ist nicht heraus, was Diego Simeone vom kommenden Sommer an tun wird. Vielleicht ist er dann nicht mehr Trainer von Atlético Madrid. Sollte sich kein neuer Arbeitgebe­r im Fußball finden, müssen eigentlich die Interessen­ten aus den großen Filmstudio­s Schlange stehen. Nie zuvor war die Rolle des Schurken besser besetzt als mit dem Argentinie­r. Und wer ein Drama mit Simeone in der Hauptrolle verfilmen will, der muss nur die Minuten nach dem Ende des Champions-LeagueSpie­ls gegen Real Madrid kopieren.

Mitten in einem bildschöne­n Gewitter, dessen Blitze die alte Betonschac­htel Calderon in unwirklich­es Licht tauchen, steht Simeone auf dem Rasen. Er reckt die Arme beschwören­d Richtung Himmel, brüllt Verwünschu­ngen, Flüche oder nur

Im Gewitter von Madrid wirkt Atléticos Fußballtra­iner wie die perfekte Besetzung für Mephisto. Es fehlte nur, dass ihm Hörner wuchsen.

irgendetwa­s in den Abend. Man weiß nicht genau, was er schreit. Aber es ist auch gleichgült­ig. Hauptsache, er schreit. Wie immer ist er ganz in Schwarz gekleidet, der Regen hat die Kleidung längst durchnässt. Und er brüllt noch, als die Zuschauer auf den besseren Plätzen schon in die Räume für die besonders wichtigen Personen geflüchtet sind. Das Echo schallt ihm von den Rängen entgegen, auf denen die eigenen Fans stehen. Sie sind genauso durchnässt wie der Mann auf dem Rasen. Und in dem ganzen diabolisch­en Gebrüll fehlt jetzt nur noch, dass Simeone, dem Zeremonien­meister von Calderon, Hörner aus dem Kopf wachsen und dass er einen Dreizack in der Hand hält. Seit Gustaf Gründgens gab es keinen besseren Mephisto mehr auf dieser Welt. Simeone ist der perfekte Dar- steller für das Selbstvers­tändnis von Atlético. Ein Team, das Kraft aus der Rolle des vermeintli­ch Bösen zieht. Eine Mannschaft, die sich als Außenseite­r in diesem Zirkus des schönen Scheins inszeniert und die in jedem Western als unrasierte Bande von Outlaws auftreten würde.

Kein Wunder, dass Atlético dem jeweiligen Gegner, vor allem natürlich dem Schleiflac­k-Klub Real, als Lieblingsf­eind dient. Das Lokalderby von Madrid ist perfekt dazu geeignet, die Welt für 90 oder 120 Minuten in gut und böse, arm und reich, schön und hässlich zu unterteile­n. Das ist genau die Folie, die es dem Stadionbes­ucher erlaubt, sich ein Spiel lang aus der Realität in die Welt der Emotion und einer großen Theaterauf­führung zu verabschie­den. Das ist nahe am Ideal des großen Fußballs. Denn der Hang zur vornehmen Differenzi­erung ist ja nicht gerade das, was das Publikum in die Arenen der Gegenwart treibt. Für die Dauer der Aufführung haben die Stadien viel Ähnlichkei­t mit den antiken Vorbildern. Nur dass im Colosseum von Rom die Folgen der Begeisteru­ng auf den Rängen für die Gladiatore­n weit schwerwieg­ender waren als beispielsw­eise die Wut der Atlético-Fans auf den führenden Gockel der Fußballwel­t, Cristiano Ronaldo. Der spielt seine Rolle übrigens fast so perfekt wie Diego Simeone.

Aber eben nur fast so perfekt. Eigentlich müsste Simeone für die nächste Oscar-Verleihung zumindest nominiert werden. Meine Stimme hätte er. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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