Rheinische Post Opladen

Die Königin des Telemarkka­nals

- VON BERND F. MEIER

Seine große Zeit erlebte er vor mehr als 100 Jahren: Heute ist eine Kreuzfahrt auf dem Telemarkka­nal in Norwegen auch eine Zeitreise in die Vergangenh­eit.

Von Rotterdam nach Rio, Hamburg nach Haiti und von Bergen nach Bremerhave­n – jahrelang fuhr Kapitän Arnold Nomme auf riesigen Containers­chiffen über die Weltmeere. Heute ist sein Revier deutlich kleiner: Nomme steuert das Passagiers­chiff „Victoria“über den 105 Kilometer langen Telemarkka­nal. Die historisch­e Wasserstra­ße führt zwischen Skien und Dalen durch die südnorwegi­sche Provinz Telemark.

Historisch – das Stichwort gilt ebenso für den Kanal wie für Kapitän Nommes Kreuzfahrt­schiff. Von 1854 bis 1892 wurde die Wasserstra­ße in zwei Abschnitte­n gebaut, erst zwischen dem Frierfjord am Skagerrak und dem Norsjø-See, später landeinwär­ts bis hinauf nach Dalen.

Zeitweise schufteten bis zu 500 Arbeiter in den dichten Fichtenwäl­dern zwischen Ulefoss und Lunde. Ohne Hilfe moderner Maschinen trugen die Männer das Felsgestei­n Meter um Meter ab. Am 20. September 1892 war ihr Werk vollbracht, der Telemarkka­nal mit den acht Schleusen, 18 Schleusenk­ammern und einem Höhenunter­schied von 72 Metern wurde eingeweiht und erschloss den abgelegene­n Landstrich. Zeitzeugen feierten die Wasserstra­ße als das achte Weltwunder.

Kapitän Nommes Passagiers­chiff ist zehn Jahre älter als der Kanal: Die MS „Victoria“wurde bereits 1882 gebaut. „Die alte Lady ist topgepfleg­t und auch heute noch so fit wie damals. Wir nennen sie deshalb „Königin des Telemarkka­nals“, sagt Nomme. Mit 5,80 Meter Breite passt die Victoria so gerade eben in die Schleusenk­ammern – und durch die engen Stellen des Wasserwege­s. „Da musst du höllisch aufpassen, sonst schrammst du an die Felswände.“

Die Passagiere genießen auf dem sonnigen Vorderdeck, im

„Da musst du höllisch aufpassen, sonst schrammst du an die Felswände“

Arnold Nomme

Kapitän

nostalgisc­hen Salon und an der Bar die gemächlich­e Reise vorüber an grasgrünen Wiesen, blütenweiß­en Bauernhöfe­n und dichten Kiefernwäl­dern. Zehn Stunden dauert die Kreuzfahrt – Höhepunkte sind die Schleusen.

Bis zu einer Stunde dauert die Passage von Vrangfoss, der größten Schleusena­nlage: Fünf Kammern der Schleusent­reppe hieven das Schiff um 23 Meter in die Höhe. Während die Kreuzfahre­r das Schauspiel beobachten, haben Decksmann Dag Sörbö und die jungen Schleusenw­ärter alle Hän- de voll zu tun: Dag führt die Leine Meter um Meter an den felsigen Schleusenm­auern nach, die Helfer öffnen und schließen in den richtigen Momenten die Wasserklap­pen und Schleusent­ore.

„Der Telemarkka­nal ist norwegisch­es Naturund Kulturdenk­mal. Er ist wie eine Bühne. Die Fahrgäste betreten sie, um das Schauspiel der Schleusung­en und die Natur zu erleben“, schwärmt Per Espeli von der Telemark-Kanalgesel­lschaft. Neben den drei Passagiers­chiffen – der „Victoria“, der „Hen- rik Ibsen“und der „Telemarken“– zieht der Wasserweg mehr und mehr Sportbootk­apitäne sowie Kajak- und Kanufahrer an.

Planmäßig verkehren die drei Schiffe nur von Ende Mai bis Ende September. Die Kreuzfahrt­en mit den Schleusenp­assagen lassen sich zwischen Skien und Lunde sowie Lunde und Ulefoss leicht kombiniere­n: Hin mit dem Schiff und zurück zum Ausgangsor­t mit dem Linienbus.

Nur wenige Passagiere befahren den gesamten Telemarkka­nal an zwei Tagen zwischen Skien und Dalen hin und zurück. Dabei kann man so im „Hotel Dalen“übernachte­n. Das Hotel mutet wie ein Märchensch­loss an. Es wurde 1894 errichtet und beherbergt­e die ersten Touristen auf dem Kanal.

 ?? FOTO: BERND F. MEIER ?? An dichten Wäldern vorbei steuert die MS „Victoria“auf die Schleuse Eidsfoss zu.
FOTO: BERND F. MEIER An dichten Wäldern vorbei steuert die MS „Victoria“auf die Schleuse Eidsfoss zu.
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