Gutes Zögern, schlechtes Zögern
Zaudern ist schlecht, wenn man handeln könnte. Hat man deshalb einmal einen schlechten Ruf weg, hält der sich manchmal jahrtausendelang. Ein Beispiel aus der römischen Geschichte. Die Lage Der Karthager Hannibal ist in Italien eingefallen und hat im August 216 vor Christus das römische Heer bei Cannae vernichtet. Zehntausende römische Soldaten sind gefallen; Hannibal bietet Friedensverhandlungen an. Die Römer Rom lehnt ab; Konsul Quintus Fabius Maximus befürwortet – so berichten es die antiken Autoren – eine Art Guerilla-Krieg gegen Hannibal statt offener Feldschlacht. Dafür erhält er den Beinamen „Cunctator“(„Zauderer“) – zunächst zweischneidig, später als Ehrentitel gemeint. Denn seine Strategie erweist sich als erfolgreich. Die Karthager Hannibal zieht durch Süditalien, um Roms Bundesgenossen zum Abfall zu bewegen. Rom selbst greift er nicht an – wohl weil Truppen und Belagerungswerkzeuge fehlen. Die Geschichtsschreiber aber legen ihm das als Zaudern aus. „Zu siegen verstehst du, Hannibal; den Sieg auszunutzen, verstehst du nicht“, schreibt Livius. Hinzu kommen Niederlagen innerhalb und außerhalb Italiens. Karthago verliert den Krieg. Stoltenberg ist die Verkörperung von Pflichtbewusstsein. Er improvisiert nicht. Bei Pressekonferenzen hält er sich an genau abgezirkelte Formulierungen, um ja keinen Fauxpas zu begehen und ein Mitgliedsland verbal vor den Kopf zu stoßen. Umso mehr wird er Trump, den für seine Unberechenbarkeit bekannten Politiker, behandeln wie ein rohes Ei. Zumal Stoltenberg einen guten Start mit dem US-Präsidenten hingelegt hat. Trump legte bei der Pressekonferenz mit Stoltenberg im April eine 180-Grad-Wendung in Sachen Nato hin und bekannte: „Ich habe gesagt, die Nato sei obsolet. Sie ist nicht obsolet.“So unterschiedlich der impulsive Trump und der kontrollierte Stoltenberg auch sind, sie verbinden ge-