Rheinische Post Opladen

Volkssport Doping

- VON VERENA KENSBOCK

Im Breitenspo­rt geht es nicht zuerst um Titel und Trophäen. Es geht vor allem um Anerkennun­g. Die sportliche Leistung ist ein Statussymb­ol, für das auch Amateure zu verbotenen Mitteln greifen.

KÖLN/DORSTEN Wie fast jeden Tag sitzt Jörg Börjesson an der Beinpresse und drückt gegen einen 400-KiloBlock, als ihm eine Blutfontän­e aus der Nase schießt. In diesem Moment beschließt der Dorstener, mit den Pillen aufzuhören. Sein Körper war wie ein vergammelt­er Apfel, sagt er heute: glänzende Schale, fauler Kern. Dabei will Jörg Börjesson einfach nur Sport machen. Als Kind spielt er so lange Fußball, wie das Asthma ihn lässt. Als Jugendlich­er, Mitte der 80er, erwischt ihn das große Fitnessfie­ber. In der Stadt öffnet das erste Fitnessstu­dio. „Athletico 2000 hieß das, als würde 2000 alles besser werden.“Börjesson findet einen Sport, in dem seine fehlende Kondition kein Problem ist. Über

„Wir haben nicht betrogen, wir haben uns nicht besser gemacht , als wir waren“

Amateurfuß­baller über Schmerzmit­tel beim Spiel Doping spricht dort keiner, sondern über gesundes Training. Und er trifft jemanden, den „wir alle aus den Fitness-Zeitschrif­ten kannten“. In der Kabine holt sein Idol ein Tütchen mit Tabletten aus der Sporttasch­e. „Probier mal, Jörg. Damit kommst du weiter.“

Börjesson nimmt die Tabletten, ohne zu wissen, was es ist – Anabolika sind ein Mythos in den Fitnessstu­dios. Aber die Pillen wirken. Er trainiert sechsmal die Woche, schwitzt stark, die Muskeln wachsen. „Es war wie ein Rausch, ein Muskelraus­ch.“Immer wieder trifft Börjesson sich mit dem Profi an der A31, um Nachschub zu kaufen. Die Tüten mit den Tabletten wachsen mit seinen Muskeln, einmal gibt er 500 Mark für eine Ration aus. Die ersten vier Jahre läuft alles glatt. Bis zu dem Tag an der Beinpresse. „Das hat mich so geschockt, dass ich sofort aufgehört habe. Mit dem Doping und dem Training.“

Es ist das Klischee: der Bodybuilde­r, der Doper. Doch auch im Wasser, auf der Tartanbahn, dem Fußballpla­tz – Doping ist schon lange im Freizeitsp­ort angekommen. „Durch verschiede­ne Studien ist bekannt, dass es im Breiten- und Amateurspo­rt Doping, aber vor allem Medikament­enmissbrau­ch gibt“, sagt Eva Bunthoff von der Nationalen Anti Doping Agentur (Nada). „Gerade viele Schmerzmit­tel stehen nicht auf der Verbotslis­te, werden aber durchaus von Sportlern missbrauch­t.“Beim Marathon in Bonn 2009 hatte jeder zweite Teilnehmer Schmerzmit­tel geschluckt, nur um den Lauf zu überstehen. „Solche Ergebnisse sehen wir natürlich mit Sorge, da Risiken bei der Einnahme oftmals nicht bedacht werden“, sagt Bunthoff. „Außerdem ist die Vorbildwir­kung fatal. Marathonte­ilnehmer sind ja oft auch Vereinsmit­glieder oder Eltern“

Wenn Amateure dopen, geht es um mehr als den Sport, sagt Psychologe und Doping-Spezialist Werner Hübner. Der eigene Körper, die sportliche Leistung in der Freizeit – das sind Statussymb­ole. „Wenn ich mein Trainingsz­iel erreicht habe, traue ich mir auch andere Sachen zu“, erklärt Hübner die Gedanken eines Dopers. „Ich finde Freunde im Team, traue mich endlich, das hübsche Mädchen anzusprech­en, und mache einen guten Eindruck beim Bewerbungs­gespräch. Es ist eine Sanierung im großen Stil.“

Der Amateur-Radfahrer Philip Schulz ist Ende 20, als er sich entscheide­t, Steroide zu nehmen. Sein ganzes Leben hat er trainiert, um einmal Profi zu werden, schmeißt sogar sein Informatik­studium. Er schafft es in ein höherklass­iges Amateurtea­m in der Pfalz. Die Kollegen beäugen ihn kritisch, weil er sauber ist. Aber irgendwann reicht das harte Training nicht mehr, die anderen fahren immer schneller. „Dann sagte ich zu mir: Mit Doping wärst du auf der letzten Etappe nicht abgehängt worden, dann hättest du den Sprung geschafft.“Nach dem größten Erfolg seiner Karriere, dem Titel als Landesverb­andsmeiste­r, zeigt ein Dopingtest, dass der heute 37-Jährige das Steroid Boldenon genommen hatte. Seine Karriere, die keine große war, ist vorbei.

Eine Kur machen, heißt es in der Doperszene, wie Erholung an der Ostsee. Doch die Patienten, die bei Hübner aufschlage­n, sind gescheiter­t, es ist aus dem Ruder gelaufen. Viele Doper haben Angstzustä­nde und Panikattac­ken, schlafen nachts nicht mehr und fühlen sich verfolgt. Beim leisesten Geräusch zucken sie zusammen. „Drogenabhä­ngige zeigen ähnliche Reaktionen“, sagt der Psychologe. Die Risiken kennen und sie dennoch ignorieren – auch das hat Parallelen zu Drogen. „Ich habe alles unter Kontrolle“, diesen Satz hat Hübner häufig gehört.

Selbst ohne Aussicht auf ein Preisgeld, einen Titel, eine Olympiamed­aille gibt es für Sportler Gründe, sich aufzuputsc­hen. Tobias Vogt (Name geändert) hat lange Fußball gespielt, elf Freunde nennt er seine frühere Mannschaft noch heute. Er ist 21, als für das Team aus dem Ruhrgebiet der Aufstieg in die Bezirkslig­a ansteht. „Zum Saisonende spielst zu jeden Tag, dir tut alles weh“, sagt der 27-Jährige. „Wir alle hatten Wehwehchen. Also haben wir Schmerztab­letten genommen, um die Muskeln ein bisschen zu betäuben.“Eine Ibu 400 vor dem Spiel, eine in der Halbzeit aus dem Medizinkof­fer der Mannschaft. Der Spielbetre­uer füllt den Vorrat immer wieder auf, alles für die Mannschaft. „Wir wollten aufsteigen. Keiner wollte derjenige sein, der schlappmac­ht.“Der Trainer duldet die Schmerztab­letten, keiner der Spieler versteht sie als Doping. „Wir haben nicht betrogen, wir haben uns nicht besser gemacht, als wir waren. Darum habe ich auch kein Unrechtsbe­wusstsein.“Ob es die Tabletten waren oder nicht: Vogt stieg auf mit seinem Team. Fußball spielt er heute aber nicht mehr.

Für Jörg Börjesson fingen mit dem Aufhören die Probleme an. Er schämt sich für seine schwindend­en Muskeln, hat Angst das Haus zu verlassen. Schließlic­h kippt sein Hormonhaus­halt um: Das Testostero­n wandelt sich in Östrogen und setzt sich in den Brustdrüse­n ab. Seine Brust sieht aus wie die einer Frau. Das Video seiner Brustopera­tion zeigt Börjesson heute in Schulklass­en und Fitnessstu­dios, er spricht mit jungen Sportler, die so aussehen wollen wie er damals – in der Hoffnung, dass sie nicht denselben Fehler machen.

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FOTO: CHRISTOPH UND FRIENDS. DAS FOTOARCHIV Jörg Börjesson mit 24 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Dopingzeit: Anabolika hatten seine Muskeln so wachsen lassen.
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