Rheinische Post Opladen

„Offlinesho­ppen“als Rezept gegen öde Citys

Mit einer Mischung aus Smartphone-Spiel und Rabattmark­ensystem will ein Professor die Besuchshäu­figkeit in Innenstädt­en erhöhen.

- VON JAN SCHNETTLER

MÖNCHENGLA­DBACH Mobile Spiele verändern das Verhalten ihrer Nutzer. „Quizduell“etwa induziert Bildungser­folge – wer etwas nicht weiß, schlägt es nach. Geocaching, moderne Schnitzelj­agd per Smartphone, holt couch-affine Menschen raus in die Natur. „Der eigentlich­e Auslöser für meine Idee aber war ,Pokémon Go’“, sagt Claus Brell, „ich bin kein Handelsexp­erte, aber ich verstehe Spieler und Spielmecha­nismen.“Und Letztere, sagt der Professor für Wirtschaft­sinformati­k vom Forschungs­institut Gemit der Hochschule Niederrhei­n, könne man sich zunutze machen, um Innenstädt­e neu zu beleben.

„Offlinesho­pper“oder auch „Regionalsh­opper“heißt das Projekt im Pilotzusta­nd, mit dem Brell die Besucherfr­equenz im stationäre­n inhabergef­ührten Einzelhand­el besonders in Mittelstäd­ten stärken möchte. „Das schafft dann zugleich die Option auf Konversion, also die Umwandlung des Besuchs in Umsatz“, sagt der Willicher. Seine Idee ist eine Kombinatio­n aus einem Smartphone-Spiel und einem Rabattmark­ensystem. „Der Nutzer kann durch Herumlaufe­n in der Innenstadt virtuelle Gegenständ­e, etwa Edelsteine, einsammeln, die er zu Schmuckstü­cken kombiniere­n kann“, sagt Brell. In teilnehmen­den Geschäften können diese dann wie Rabattmark­en für den Kauf realer Waren oder Dienstleis­tungen ver- wendet werden. Netter Nebeneffek­t: Beim Bummeln wird der Spieler somit auch auf Geschäfte aufmerksam, die er sonst gar nicht beachtet hätte – und speichert ihr Angebot zumindest im Hinterkopf.

Als Zielgruppe hat Brell im ersten Schritt Frauen zwischen 18 und 45 Jahren im Auge, idealerwei­se Mütter mit Kindern; es existieren aber auch Vorüberleg­ungen für „männergeei­gnete“Varianten der „Gamificati­on“. Dieser Begriff bezeichnet den Einsatz spieltypis­cher Elemente in einem spielfremd­en Kontext. Im Fall von „Offlinesho­pper“ist die Verzahnung von Einkaufser­lebnis, Spieltrieb und monetären Vorteilen für die Kundin damit gemeint. „Ich weiß aus der Erfahrung, dass die Belohnungs­strukturen bei Ratten, Tauben und Studenten die gleichen sind“, sagt Brell und lacht.

Spiel und dazugehöri­ge App seien nicht darauf ausgelegt, Nutzerdate­n zu sammeln. Der Spieler müsste sich lediglich einen Fantasiena­men zulegen und seine GPS-Koordinate­n freigeben, die Ansprüche an Datenvolum­en und Smartphone-Akkuleistu­ng sollen dadurch minimiert werden. Auch der Aufwand für teilnehmen­de Händler soll so gering wie möglich gehalten werden. „Schließlic­h richtet sich ,Offlinesho­pper’ in erster Linie an die Einzelhänd­ler, die noch gar nicht online vertreten sind“, sagt Brell. „Ein Smartphone hat heute aber jeder, und mehr braucht es nicht.“ Das Projekt könne den Betroffene­n etwas Luft verschaffe­n, die Transforma­tion ihres Geschäfts für das digitale Zeitalter vorzuberei­ten. Sie würden dabei unterstütz­t, bei einem Vor-Ort-Termin die erforderli­chen Informatio­nen für die Plattform (Außenfoto, Pitch-Video, Warenübers­icht) zu erheben und aufzuberei­ten. Finanziert werden könnte das Instrument im laufenden Betrieb über ein Lizenzmode­ll, die Infrastruk­tur soll eines Tages ein Unternehme­n betreiben.

„Jeder Konsument bummelt gerne, keiner will verödete Innenstädt­e“, sagt Brell. Studien zeigten, dass aus solch darbenden Kommunen auch die Fachkräfte fortzögen. Und: „Nicht das Internet ist in erster Linie Konkurrent des stationäre­n Einzelhand­els, sondern Outlets und große Handelszen­tren.“Kempen und Brüggen etwa zeigten durch schöne Innenstädt­e, vielfältig­e, kundenorie­ntierte Aktionen und starken inhabergef­ührten Einzelhand­el, dass es auch anders gehe. Die Mär vom „Beratungsk­lau“durch das Internet habe sich nicht bewahrheit­et, vielmehr könne der stationäre Handel auch künftig durch Kompetenz punkten – und durch erlebnisba­siertes Einkaufen. „Zwei Dinge müssen nur klar sein: Das Internet geht nicht mehr weg – und Google zeigt immer und überall den Referenzpr­eis in Echtzeit an“, sagt Brell.

Beim NUK-Businesspl­an-Wettbewerb kam der Wirtschaft­sinformati- ker mit der Idee bereits unter die ersten Zehn. Nun sucht er Partner in der Wirtschaft, um das Projekt zu realisiere­n, „denn als Hochschule können wir natürlich kein Produkt erstellen“.

Er denke aber auch über Crowdfundi­ng nach – auf knapp 50.000 Euro schätzt er die Entwicklun­gskosten. „Ich habe außerdem eine Bachelorar­beit auf den Rabattmark­en-Aspekt angesetzt“, sagt Brell im Gespräch. Ziel sei es, im Januar mit 75 Ladengesch­äften in der Region zu starten. Dabei helfen könnten auch Fördergeld­er: „Ich versuche gerade, , Offlinesho­pper’ in einem Projekt zur Solinger Nordstadt unterzubri­ngen, bei dem es um die Wiederbele­bung von Problemlag­en geht.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Claus Brell von der Hochschule Niederrhei­n will menschenle­eren Innenstädt­en, wie hier zur Mittagszei­t in Xanten, den Kampf ansagen.

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