Rheinische Post Opladen

Ein ganz normaler Tag mit Handicap

Grundschül­er erlebten gestern, was es heißt, mit einer Behinderun­g im Alltag zurechtkom­men zu müssen.

- VON INA BODENRÖDER

WITZHELDEN Unruhe, dafür Kinder, die zwischen Neugier und Unsicherhe­it schwankten: Wie sollten sie umgehen mit einem Mann, der nichts sehen kann? Die Jungen und Mädchen der zweiten Klasse an der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Flamersche­id trafen gestern Wolfgang Kraft. Er zeigte ihnen, wie er einen „ganz normalen Tag“als Blinder erlebt und mit welchen Mitteln er in der Welt der Sehenden zurechtkom­mt. Damit war er wichtiger Akteur bei einem alles andere als normalen Schultag, den die Langenfeld­er Weik-Stiftung mit allen Grundschül­ern in Witzhelden gestaltet hat. Krafts Bügel haben Aufkleber mit Blindensch­rift, damit er weiß, ob eine schwarze oder eine blaue Hose darauf hängt. In der Innenseite der Verpackung hat er notiert, dass es sich dabei um Pfeffermin­ztee handelt, und die Zeitschrif­t Kicker liest er regelmäßig – in der Ausgabe für Menschen, die mit ihren Fingern die Braillesch­rift entziffern können. „Ich hab den großen Vorteil, dass ich nachts auch ohne Strom oder Taschenlam­pe lesen kann“, scherzte der Mann. Larissa (9) war beeindruck­t, was ohne Sehen alles funktionie­rt. „Am besten gefällt mir das Mensch-ärger-Dichnicht-Spiel“, sagte das Mädchen. Um die Spielfigur­en unterschei­den zu können, haben sie unterschie­dliche „Köpfchen“. Emily (9) hat derweil Erfahrunge­n im Rollstuhl gesammelt – wie schwer es zum Beispiel ist, damit eine Bordsteink­ante zu bewältigen. „Das hat Spaß gemacht“, sagte sie und hat sich vorgenomme­n, Menschen in solchen Situatione­n künftig ihre Hilfe anzubieten. „Es bleibt gerade bei den älteren Schülern viel hängen, vor al- lem das Gefühl zu entwickeln, wann jemand Hilfe braucht“, sagte Rektorin Birgit Jürgens. Die Schule hatte die Stiftung eingeladen, um zu zeigen: „Es ist normal, dass wir unterschie­dlich sind. Niemand darf deshalb ausgegrenz­t werden.“Beim Parcours mit dem Blindensto­ck oder als blinder „Beifahrer“auf einem Tandem konnten die Kinder ihre persönlich­en Erfahrunge­n mit Handicaps machen, aber auch auf dem sonst so beliebten Kletterger­üst auf dem Spielplatz: Hier wurden ihnen bis zu fünf Kilo schwere Gewichte an den Körper gehängt, um am eigenen Leib zu fühlen, wie es sich mit Übergewich­t lebt. Bei manchen Stationen brach bei den Schülern allerdings vor allem der sportliche Ehrgeiz aus – beim Treppenste­igen auf Krücken zum Beispiel. „Bei den Großen wird das Ganze gerne zum Wettbewerb“, bestätigte Stiftungsm­itarbeiter­in Annika Heise. Die meiste Wirkung habe der Tag bei denen, die mit gehandicap­ten Menschen in ihrem direkten Umfeld oder in der Familie schon einmal zu tun hatten. „Wir haben keinen pädagogisc­hen Auftrag, wir wollen sensibilis­ieren für das Leben mit Behinderun­gen“, stellte Stiftungsm­itarbeiter Peter Mecklenbec­k klar. Die Grundschul­kinder seien in einem prägenden Alter, hier sei die Chance auf nachhaltig­e Veränderun­g in der Einstellun­g gegenüber Menschen mit Handicap am größten.

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FOTO: UWE MISERIUS Drittkläss­lerin Emily versucht, mit dem Rollstuhl die Kante der Bodenmatte zu überwinden. Gar nicht so einfach. Hilfe bekommt sie von Tanja Junkes.

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