Rheinische Post Opladen

James Bond? Sherlock Holmes!

Anders, aber außergewöh­nlich gut: Benedict Cumberbatc­h gewinnt dem Meisterdet­ektiv immer neue Seiten ab.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

LONDON Dass Sherlock Holmes ein Gentleman war, ist etwa 125 Jahre her. Die heutige Reinkarnat­ion des kauzigen Meisterdet­ektivs (Benedict Cumberbatc­h) beschäftig­t sich in hochgeheim­en Sitzungen mit Ingwer-Keksen und der Twitter-App seines Smartphone­s, schreibt während der Taufe seines Patenkinds SMS am laufenden Band und brüskiert die Eltern eines jüngst tragisch verstorben­en Teenagers. „Ist er verrückt?“, fragt die Mutter darum halb angeekelt, halb mitleidig Sherlocks WG-Mitbewohne­r John Watson (Martin Freeman). „Nein“, erwidert der. „Er ist ein Arschloch.“

Seine Hyperintel­ligenz stellt Sherlock Holmes zu Beginn der neuen, 14. Folge der weltweit gefeierten Mini-Serie „Sherlock“einmal mehr unter Beweis, noch viel mehr aber seine Selbstbeso­ffenheit. Dieses Genie ist auch ein eitler Snob, großkotzig, permanent belustigt von der „Beschränkt­heit“von Fremden wie Freunden, die unter seinen gnadenlose­n Urteilen leiden. Ekel Sherlock, uns graut vor dir! Vor allem für neue Zuschauer ist es allerdings herausford­ernd, dranzublei­ben an dieser schnell geschnitte­nen Collage aus Alltagssze­nen und abstrusen Kriminalfä­llen sowie deren Lösungen („Wenn der Hund nicht schwimmen kann, ist der Nachbar der Mörder“). Aber wer diese halbe Stunde durchsteht, egal wie wenig sich ihm davon zunächst erschließt, wird reich belohnt. Denn nach dieser zu lang und komplex geratenen Einleitung in die Welt von Sherlock und dessen noch blasierter­em Bruder Mycroft (Mark Gatiss, zugleich Co-Schöpfer der Serie) sowie Watson und dessen Gattin Mary (Amanda Abbington) entspinnt sich ein James-Bond-artiger Thriller. Zum Schauplatz wird anstelle von London und Umland plötzlich die halbe Welt und die üblichen süffigen Wortgefech­te wechseln sich nun ab mit Actionsequ­enzen.

Besser noch: Zum Ende kippt der komplette Film in eine epische Tragödie um Verrat und Paranoia, Schuld und Sühne. Mit dem in den vergangene­n Jahren sprichwört­lich gewordenen Mut zum Experiment legen die Macher der BBC-Serie die spaßig-spielerisc­he Leichtigke­it ab, die bislang zum Markenkern von „Sherlock“gehört hat. Überdeutli­ch wird: Es ist längst nicht nur sein Mangel an Gentleman- und Loverquali­täten, der Sherlock Holmes von James Bond unterschei­det. Er ist nicht unverwundb­ar, nicht unantastba­r. Und die Welt ist viel mehr als bloß sein persönlich­er Abenteuers­pielplatz. Seine Handlungen haben Konsequenz­en, und die werden nun in aller Schwere spürbar.

Am Ende dieses Films – denn jede „Sherlock“-Episode ist nicht nur 90 Minuten lang, sondern auch inhaltlich auf Top-Kino-Niveau – hat sich so viel geändert, dass jedes weitere Wort über den Inhalt eines zu viel wäre. Erst recht gilt das für die nächste Episode, die am Pfingstmon­tag läuft. Die dritte (und vielleicht letzte der Serie überhaupt) folgt am Sonntag danach.

Zum Schluss ein Warnhinwei­s: In die Mediathek kommt „Sherlock“nicht. Die ARD ist daran unschuldig. Nur zu gern würde man dort angesichts der schwachen absoluten Quoten (drei Millionen im Schnitt) auf zusätzlich­e Online-Abrufe verweisen. Doch das ist rechtlich unmöglich. Die Privatsend­er haben durchgeset­zt, dass von der ARD eingekauft­e ausländisc­he Produktion­en wie die anspruchsv­ollen Krimis für diesen Sendeplatz (Kosten im Schnitt: 500.000 Euro brutto) generell nicht online gezeigt werden dürfen. Im Fall von „Sherlock“ist das eine ganz besondere Schande. „Sherlock -Die sechs Thatchers“, Das Erste, So., 21.45 Uhr, „ Der lügende Detektiv“, Mo., 21.45 Uhr.

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FOTO: ARD Überforder­t: Sherlock (Benedict Cumberbatc­h, M.) zwischen den jungen Eltern John Watson (Martin Freeman) und Mary (Amanda Abbington).

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