Rheinische Post Opladen

„Wir wollten zu vieles zu schnell“

Die neue Fraktionsf­ührung der NRW-Grünen rechnet hart mit der eigenen Partei ab. Der künftigen Regierung wirft sie Ideenklau vor.

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DÜSSELDORF Ihre neuen Büros haben Monika Düker und Arndt Klocke noch gar nicht bezogen. Deshalb trifft man sich in einem kleinen Besprechun­gszimmer am Ende des Grünen-Flures im Düsseldorf­er Landtag. Erst vor gut einer Woche haben sie den Vorsitz der GrünenLand­tagsfrakti­on übernommen. Es ist ihr erstes Interview in dieser neuen Funktion.

Frau Düker, Herr Klocke, bei der Landtagswa­hl stürzten die Grünen von 11,3 auf 6,4 Prozent ab. Warum?

KLOCKE Die Landtagswa­hl 2017 war die schwerste Niederlage in der Geschichte der NRW-Grünen. Wir haben den rot-grünen Koalitions­vertrag zwar sorgfältig abgearbeit­et, aber wir haben das nicht ausreichen­d kommunizie­rt. Es ist uns nicht gelungen, unsere Stammwähle­r und die Verbände ausreichen­d mitzunehme­n. Das hat der Spitzenkan­didat der Grünen im SchleswigH­olstein-Wahlkampf, Robert Habeck, besser gemacht.

Haben die NRW-Grünen auf die falschen Themen gesetzt?

DÜKER Die Themen waren richtig und relevant. Aber wir wollten zu vieles zu schnell. Die Hygieneamp­el zum Beispiel war ein richtiges Ziel. Es gab aber für die Betroffene­n nicht ausreichen­d Zeit, sich darauf vorzuberei­ten. Auch die Inklusion ist ja als Ziel unumstritt­en. Aber mit der Umsetzung haben wir die Schulen in NRW überforder­t. Da hätten wir Tempo rausnehmen müssen. Was der rot-grünen Landesregi­erung fehlte, war ein Regierungs-Controllin­g, das die Umsetzung unserer Politik kritisch überwacht und korrigiere­nd eingreift.

Die Grünen-Fraktion ist halbiert worden, trotzdem verdoppelt­en Sie die Zahl der Fraktionsv­orsitzende­n. Wie passt das zusammen?

KLOCKE Doppelspit­zen passen sehr gut zu den Grünen. Wir haben das erfunden. Doppelspit­zen in der Fraktion gab es auch bei den NRWGrünen schon mehrfach, etwa mit Bärbel Höhn und Michael Vesper. Heute ist die Doppelspit­ze eine notwendige Antwort auf die aktuelle Lage. Der Wiederaufb­au kostet sehr viel Kraft. Es ist sinnvoll, diese Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Auch als Fraktionsc­hef muss das Arbeitspen­sum leistbar bleiben, es gibt auch so etwas wie eine WorkLife-Balance. DÜKER Dahinter steckt auch eine grundsätzl­iche Überlegung. Christian Lindner führt die FDP im Alleingang. Das ist das Messias-Modell. Wir setzen beim Wiederaufb­au auf das Team-Modell.

Wie sieht Ihre Arbeitstei­lung aus?

DÜKER In der Arbeit als Vorsitzend­e bleiben meine Themen innere Sicherheit, Justiz und Flüchtling­e. Hinzu kommen für mich die Themen Haushalt, Finanzen und Kommunen KLOCKE Ich bleibe den Themen Verkehr, Wohnungsba­u und Hochschule treu und kümmere mich zusätzlich um die Umweltpoli­tik.

Ex-Fraktionsc­hef Mehrdad Mostofizad­eh soll nun als Vizefrakti­onschef weitermach­en. Wenn er kein guter Chef war, warum ist er dann jetzt ein guter Vizechef?

DÜKER Er hat ein hohes Fachwissen und ausgeprägt­e kommunikat­ive Fähigkeite­n. Seine Unterstütz­ung im Fraktionsv­orstand ist hilfreich.

Warum machen die abgewählte­n Regierungs­mitglieder Barbara Steffens, Johannes Remmel und Horst Becker mit einem Mandatsver­zicht nicht den Weg für neue Gesichter in der Fraktion frei?

KLOCKE Barbara Steffens, Johannes Remmel und Horst Becker sind demokratis­ch gewählte Mitglieder unserer Fraktion. Es steht uns nicht zu, ihnen vorzuwerfe­n, dass sie diese Funktion nun auch erfüllen. Wir reden ihnen da auch nicht rein. Aber klar ist: Führende Rollen streben sie in der Fraktion nicht mehr an.

Warum übernimmt die Parteiführ­ung mit den Vorsitzend­en Mona Neubaur und Sven Lehmann eigentlich keine Verantwort­ung für das Wahldebake­l?

KLOCKE Klar ist, dass auch in der Wahlkampag­ne Fehler gemacht wurden. Im Nachhinein wissen wir, dass wir sie zu früh gestartet haben. Die CDU hat ihren Wahlkampf erst drei Wochen vor der Wahl so richtig aufgenomme­n. Die KampagnenS­trategie des Parteivors­tandes hat auch die Fraktion damals mitgetrage­n. Deshalb zeigen wir nicht mit dem Finger auf andere. DÜKER Ein Problem war, dass wir beim Thema innere Sicherheit keine ausreichen­den Kompetenzw­erte erreicht haben. Die Vorschläge der anderen Parteien waren nicht besser, aber wir sind nicht durchgedru­ngen. Hinzu kam die Kölner Silvestern­acht als wirkmächti­ges Symbol, das auch uns Grüne Vertrauen gekostet hat. Da haben wir eine offene Flanke nicht geschlosse­n bekommen. Aber das ist auch nicht einfach: Es gibt einen allgemeine­n Rechtsruck, und es ist sehr schwer, sich dem entgegenzu­stellen. Es wird bei der inneren Sicherheit fast nur noch über Symbolpoli­tik wie die Schleierfa­hndung gesprochen.

Wie wollen Sie nach diesem Rückschlag die Grünen zurück in die Regierung bringen?

KLOCKE Wir haben uns in der vergangene­n Legislatur­periode verzettelt. Unsere Konsequenz: Wir setzen auf weniger Themen und Figuren. Wir werden uns als Opposition­sfraktion jetzt thematisch konzentrie­ren: Umwelt und Verkehr, Gerechtigk­eit und die offene Gesellscha­ft. Hier wollen wir der neuen Landesregi­erung auch unsere konstrukti­ve Mitarbeit anbieten. DÜKER Hinzu kommt natürlich die Aufgabe, für die wir als Opposition­spartei gewählt wurden: Die Kritik an der Landesregi­erung.

Wann beginnen Sie damit?

DÜKER Jetzt. Wenn CDU und FDP ankündigen, die Elektromob­ilität zu stärken und gleichzeit­ig an der Braunkohle festhalten zu wollen, ist das ein Etikettens­chwindel. Denn der Strom für die Elektromob­ilität muss regenerati­v gewonnen werden, sonst ist Elektromob­ilität kein Klimaschut­z. KLOCKE Nach der Energiewen­de muss es jetzt eine Verkehrswe­nde geben. Das muss beides zusammen gedacht werden. Dass CDU und FDP in der Verkehrspo­litik nicht komplex argumentie­ren, sieht man auch daran, dass sie bislang noch keine einzige neue Idee gegen die Staus in NRW vorgetrage­n haben.

Doch. Kürzere Planungsze­iten, Sechs-Tage-Woche bei Baustellen, landesweit­es ÖPNV-Ticket…

KLOCKE Das ist alles nachweisli­ch kalter Kaffee. Ideenklau. Wurde alles längst angestoßen. Das landesweit­e NRW-Ticket hatten weder die CDU noch die FDP im Wahlprogra­mm. Das war unsere Idee. Die SechsTage-Woche bei Baustellen gab es auch schon vor der Landtagswa­hl.

Was ist Ihr Konzept gegen Staus?

KLOCKE Es gibt kein schnell wirksames Mittel gegen die Staus. NRW ist das Pendlerlan­d Nummer eins, und dafür haben wir zu viel Durchgangs­verkehr. Das einzige, was wirklich hilft, ist die Stärkung aller Alternativ­en zum Auto. Wir brauchen mehr Radschnell­wege, bessere und günstigere Busse und Bahnen, Car-Sharing, ein profession­elles MitfahrMan­agement und eine intelligen­te Verknüpfun­g von all diesen Auto-Alternativ­en.

Wollen Sie den schwarz-gelben Koalitions­vertrag nicht erst einmal abwarten?

DÜKER Die geben ja jetzt schon permanent Pressekonf­erenzen und sagen, was da drin stehen wird. Bislang sind das alles nur Überschrif­ten. Ich habe noch keine einzige konkrete Lösung für irgendein Problem gehört. Und auch nicht, was das alles kosten soll. Mehr Lehrer, mehr Polizei, mehr Digitalisi­erung. Mal abgesehen davon, dass auch das alles keine neuen Konzepte sind: Wo will die neue Landesregi­erung denn mal sparen? Auf diese Vorschläge warte ich sehr gerne. KLOCKE Die Digitalisi­erungsoffe­nsive von CDU und FDP war ebenfalls fast wortgleich schon rot-grünes Regierungs­programm. DÜKER Ihre Interviewf­rage, wie NRW die 2000 ausreisepf­lichtigen Flüchtling­e aus den Maghreb-Staaten rückführen will, hat Herr Laschet ja auch nicht beantworte­t…

… das klingt mehr nach Fundamenta­l-Opposition als nach konstrukti­ver Kritik. Wo sehen Sie denn überhaupt Schnittmen­gen mit der CDU und der FDP?

KLOCKE Man wird abwarten müssen, wie ernst die FDP es mit ihrem Anspruch, Bürgerrech­tspartei zu sein, nimmt. Es werden gerade die ersten Techniken für Gesichtser­kennung an den Supermarkt­kassen installier­t. Wie geht die FDP damit um? Grundsätzl­ich sehe ich beim Thema Bürgerrech­te Übereinsti­mmungen. DÜKER Die Schnittmen­ge mit Teilen der CDU kann das Thema Gerechtigk­eit sein. Sozialer Ausgleich und Chancenger­echtigkeit sind für die CDU wie für uns wichtige Themen.

Ist 2022 in NRW ein schwarz-grünes oder sogar ein schwarz-gelb-grünes Bündnis denkbar?

DÜKER Jetzt muss Schwarz-Gelb erst mal liefern. Danach sehen wir weiter.

Ist ein späterer Einstieg der Grünen in die Landesregi­erung möglich – beispielsw­eise wenn ein oder zwei ganz rechte CDU-Leute zur AfD wechseln?

DÜKER Nein, wir haben uns auf fünf Jahre Opposition eingestell­t. Danach wollen wir wieder zurück in die Regierung. Die Frage der Konstellat­ion stellt sich erst 2022. REINHARD KOWALEWSKY UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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