Rheinische Post Opladen

Wie gut, dass es sie gab

Die Doku „Whitney“gräbt neue traurige Details über die Sängerin aus. Warum erinnert man sich nicht anders an sie? Ein Appell.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Es ist so verdammt ungerecht, dass die Erinnerung an diese Künstlerin stets negativ belegt ist, dass alle Welt offenbar vergessen hat, wie großartig sie war, wie viel Freude sie gegeben hat. Wenn es um Whitney Houston geht, denken die meisten sogleich an ihren Ehemann, den blöden Bobby Brown, außerdem an Drogensuch­t und Verschwend­ung, an die schlimmen Fotos aus den Jahren vor dem frühen Tod der 48Jährigen und an die erschütter­nden Auftritte, bei denen sie nicht mehr in der Lage war zu singen. Warum eigentlich? Bei Prince ist es doch auch nicht so. Bei Michael Jackson nicht und bei George Michael nicht. Warum bei Whitney Houston?

Nun kommt auch noch diese indiskrete Dokumentat­ion ins Kino „Whitney“heißt sie, und sie ist so gut wie gar nicht interessie­rt an der Jahrhunder­tstimme, sondern ausschließ­lich daran, den Elendsgesc­hichten noch mehr unappetitl­iche Details hinzuzufüg­en. Allerdings weiß man ja längst, dass Whitney Houston einsam war, unter Selbstzwei­feln litt, dass sie sich nicht im Griff hatte, die falschen Freunde wählte und Drogen ähnlich heiter und undosiert einwarf wie andere Leute Gummibärch­en. Warum soll man sich nun auch noch mit Gerüchten beschäftig­en, die besagen, dass sie unglücklic­h in eine Frau verliebt gewesen sei, noch viel mehr Drogen als vermutet genommen habe und im Grunde schon 1992 als unrettbar verloren galt und nicht erst ein paar Jahre später?

Genau das tut dieser Film, er raunt, indem er Leute aus ihrem Umfeld zu Wort kommen lässt, von denen man nicht so genau weiß, wie nah sie ihr wirklich gestanden haben. Leibwächte­r, Berater und Stylisten dürfen munkeln, vielsagend nicken und weinen, und zwischendu­rch wird so getan, als würde man eigentlich viel lieber von Whitney Houston schwärmen als den Schlamm abermals umzugraben, aber das gehe ja leider nicht, weil halt alles so superschli­mm war. Dabei ist es doch so: Der Mensch Whitney Houston kann einem un- bedingt und ohne Zweifel leid tun, aber man weiß nun mal nicht, wie alles gekommen ist und wer verantwort­lich war für all das Elend, das mit ihrem frühen Tod 2012 noch nicht endete, sondern erst mit dem tragischen Tod der Tochter Bobbi Kristina 2015.

Außerdem geht das Gerede über den Absturz der Privatpers­on inzwischen so weit, dass es am Mythos der Künstlerin kratzt. Auf der aktuellen „Rolling Stone“-Liste der besten Sänger aller Zeiten steht Aretha Franklin auf dem ersten Platz, was völlig okay ist. Aber Whit- ney Houston haben sie auf Platz 34 wegsortier­t, ein Platz vor ihr steht Steve Winwood, und das ist bei aller Wertschätz­ung des nicht nur für seine Verdienste bei der Spencer Davis Group hochverehr­ten Winwood ein schlechter Witz. Whitney Houston war die größte Performeri­n der ver- gangenen 30 Jahre, und der Beweis ist jenes Lied, das man fast nicht mehr hören mag, was indes nicht am Lied selbst liegt, sondern daran, dass es seit 1992, als es 14 Wochen an der Spitze der US-Hitparade stand, so oft gespielt wurde, dass man es einfach über hat. „I Will Always Love You“ist ein Lied, das kaum jemand so zu singen in der Lage ist wie Whitney Houston es getan hat. Dolly Parton schrieb das Stück in den 70er Jahren, und Houstons Einspielun­g ist laut „New York Times“die „perfektest­e Vokal-Aufnahme aller Zeiten“– ein Urteil, das womöglich recht wohlmeinen­d, in jedem Fall aber bedenkensw­ert ist.

In ihrer Musik findet man keine Spur von dieser Negativitä­t, die alle Welt ihr neuerdings zuschreibt. Man höre sich noch einmal das fantastisc­he zweite Album aus dem Jahr 1987 an, „Whitney“heißt es, und „I Wanna Dance With Somebody“war der erste Single-Hit daraus. Er stand auf der ganzen Welt auf Platz eins, und er hat noch heute heilsame Wirkung. Houston lacht darin, man kann gar nichts anders, als mitzulache­n, und wer dieses Lied zum Frühstück hört, wird noch beim Abendessen auf Wolke sieben sitzen. „Love Will Save The Day“, „How Will I Know“und „So Emotional“haben ähnliche Wirkung.

Whitney Houston war inspiriert von älteren Kolleginne­n wie Nina Simone und Aretha Franklin. Und sie selbst hat etlichen Nachfolger­innen als Vorbild gedient: Mariah Carey, Christina Aguilera und Beyoncé berufen sich ausdrückli­ch auf sie. Whitney Houston war die Verkörperu­ng des Prinzips „It’s the singer, not the song“. Die Stimme war ihr Instrument, sie war eine VokalAkrob­atin. Deshalb zeugt es von Unkenntnis zu sagen, dass sie so groß ja nun doch nicht gewesen sei, weil sie nämlich nicht selbst geschriebe­n, sondern lediglich Songs aus fremder Feder interpreti­ert habe. Man sollte Leute, die sowas behaupten, mal fragen, was sie von Elvis und Sinatra halten.

Das Drama Whitney Houstons bestand nun darin, dass sie als Crossover-Künstlerin vermarktet werden sollte. In den frühen 80er Jahren wurde vor allem der USMarkt noch stark in Musik für Weiße und für Schwarze unterteilt, und Whitney Houston sollte für beide Gruppen attraktiv sein. Sie selbst hatte eigentlich R ’n’ B machen wollen und Funk, aber man wollte „keinen weiblichen James Brown“, wie man ihr mitteilte. Und so erfand man das Narrativ von der schwarzen Pop-Prinzessin, die von weißen Jungs wie Kevin Costner geliebt wird – siehe „Bodyguard“. Den größten Knacks ihrer Karriere, vielleicht ihres Lebens bekam sie dann 1989 bei den „Soul Train Awards“, als das schwarze Publikum sie auspfiff und als zu weiß beschimpft­e. Sie war getroffen, verletzt und gebrochen, und sie trug fortan nur mehr Perücken – sozusagen als Maske, als Schutz der Privatsphä­re. Whitney Houston ist der Popstar, von dem fast niemand je die echten Haare gesehen hat. Die Perücke war ihre Sonnenbril­le.

Jedenfalls: Was den Menschen Whitney Houston so traurig gemacht hat, ist von uns Musikhörer­n nicht zu ergründen. Wir sollten nicht länger über das reden, was sein könnte, sondern über das, was da ist: So eine Stimme! So ein Talent! Ihre Lieder bleiben in der Welt, zum Glück. Lachen, Wolke sieben und noch einmal: I Will Always Love You. Whitney – Can I Be Me, USA, 2017 – Regie: Nick Broomfield, Rudi Dolezal, 90 Min.

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FOTO: DPA Whitney Houston 1990 bei einem Auftritt im amerikanis­chen Fernsehen.

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