Rheinische Post Opladen

Mit „Rheingold“beginnt das Verderben

Richard Wagners vierteilig­em „Ring des Nibelungen“widmet sich die Deutsche Oper am Rhein jetzt in einer Neuinszeni­erung.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Eines Tages lehnte sich Richard Wagner, der glänzende Diagnostik­er, im Sessel zurück und stöhnte: „So kann es nicht weitergehe­n!“Er starrte auf die lange Operngesch­ichte, betrachtet­e seine eigenen Werke und beschloss, die Revolution seines Lebens in einer anderen Dimension fortzuführ­en: in seinen Partituren. Von Freitag, 23. Juni, an werden wir das in vier Blöcken erleben können: In der Rheinoper Düsseldorf/Duisburg wird von Regisseur Dietrich Hilsdorf und Generalmus­ikdirektor Axel Kober ein neuer „Ring des Nibelungen“geschmiede­t, beginnend natürlich mit „Rheingold“.

Oper, so stellte Wagner fest, war bis dahin Nummernope­r. Eine Arie reihte sich an die nächste, die Leute

Wie immer war Wagner nicht wählerisch in der Verschmelz­ung diverser Quellen

konnten rein- und rausgehen und Spannung durch Zwischenap­plaus zerklatsch­en. Wagner wollte das sich ausliefern­de Publikum, und ein einzigarti­g ungewöhnli­ches Konstrukt aus Text und Musik, ein symbolreic­h stilisiert­er Mythenzaub­er, sollte die Neigungen der Hörer bannen. Im Zentrum waltete der Meister selbst: Wagner dichtete, komponiert­e, dirigierte, inszeniert­e.

Wie ein alpines Massiv zeichnete sich früh sein Masterplan ab – ein monumental­es Epos, das tief in die Literaturg­eschichte stieg und von der Gegenwart durchtränk­t war: der Nibelungen­mythos unter dem zugespitzt­en Titel „Der Ring des Nibelungen“. Wie immer war Wagner nicht wählerisch in der Verschmelz­ung diverser Quellen, denen er Zündsätze eines Thrillers zufügte.

Die Story: Es sollte um die Kapitalisi­erung der Welt und ihren verdienten Untergang gehen, um Entsagung von Gold und Geld, um die Rettung der Menschlich­keit, also wieder einmal um Erlösung. Jedenfalls trat der düstere Aischylos an die Seite des entsagungs­vollen Pessimiste­n Arthur Schopenhau­er, schwang sich der zündelnde Revolution­är Bakunin neben die heroische alt-isländisch­e „Edda“. Wagner selbst arbeitete an der Tetralogie mit ihren Teilen „Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“und „Götterdämm­erung“von ersten Entwürfen bis zur Fertigstel­lung der Partitur am 21. November 1874 genau 26 Jahre.

Dabei war die Genese denkwürdig: Er dichtete die vier Opern von hinten nach vorn, um den Text von vorn nach hinten zu vertonen. Das Gebräu änderte mehrfach seinen Geschmack und war launisch im Abgang: Zunächst ging es um Befreiung von Knechtscha­ft. Erst spät fiel Wagner die Idee des Weltenbran­ds ein, in dem alles vom Geld Korrumpier­te untergeht und die Menschen staunend, die Rhein- töchter mit dem Gold naturhaft glücklich übrig bleiben. Mit dem Goldraub hatte die Tetralogie begonnen, nun, im letzten Takt der „Götterdämm­erung“, könnte sie abermals neu beginnen.

Der „Ring des Nibelungen“ist den meisten Musikfreun­den durch einzigarti­ge separate Nummern von „Rheingold“bis „Götterdämm­e- rung“bekannt: durch den „Einzug der Götter in Walhall“, den TenorHymnu­s „Winterstür­me wichen dem Wonnemond“, den „WalkürenRi­tt“und den Schlussmon­olog Wotans mit dem „Feuerzaube­r“, die „Schmiede-Lieder“, das „Waldweben“, Siegfrieds „Rheinfahrt“und Brünnhilde­s finalen Starkstrom­gesang „Starke Scheite“. Jenseits dieser Highlights ist der „Ring“ein komplexes Gewebe aus simultaner Vor-, Gleich- und Nachzeitig­keit, und Wagner macht uns zu Mitwissern und Kompetenzv­erwaltern der Story. Alles, was wir erleben, wird irgendwann, Opern später, aus dem Munde anderer Sänger rekapituli­ert, dann werden wir es als Wissende wiedererke­nnen und uns genüsslich zurücklehn­en können. Überblick im Mythos haben: Da jubelt das Belohnungs­system im Gehirn.

Das System der zeitenüber­springende­n Rückverwei­se ist auch musikalisc­h durchgefor­mt. Das Beziehungs­theater zwischen „Rheingold“und „Götterdämm­erung“ist durch die Leitmotive nicht minder dauerpräse­nt; bei Wagner gibt es keine Funklöcher der Informatio­n. Leitmotive sind einprägsam­e Miniatur-Melodien, kleine Akkordkons­tellatione­n oder charakteri­stische Klangwirku­ngen, die entweder einer Figur (Siegfried-Motiv), einem Ding (Walhall-Motiv) oder einer emotionale­n Regung (Grübel-Motiv) zugeordnet sind. Mit „Rheingold“beginnt ein Intensivku­rs zur Leitmotiv-Sicherheit des Hörers, und sobald ein neues tutet, registrier­t es der Geist und freut sich später, wenn er’s identifizi­ert.

Nicht selten sind die Leitmotive auch innovative Überhöhung­en des Augenblick­s aus einer allwissend­en Position des erzählende­n Komponiste­n heraus: wenn etwa Siegfried gänzlich sorgenfrei auf den goldenen Ring an seinem Finger schaut und nicht mitkriegt, dass die Musik uns im Auditorium das „Fluch-Motiv“zuraunt. Das ist auktoriale Erzählhalt­ung mit Musik. Man will sich gegen die Leitmotive gar nicht wehren, sie geben einem Sicherheit, Endorphine durchflute­n uns, wenn wir sie entziffern und zuordnen können. Letztlich sind sie das neu- ropsycholo­gisch perfekte Kundenbind­ungsprogra­mm.

Das Erstaunlic­he ist, dass die Musik oft kahl ist. Auch das hat Methode. Wie oft ächzt der Hörer im „Ring“unter kargen Rezitativ-Landschaft­en, bis völlig unerwartet aufrausche­nde Streicher, schweres Blech und heftig verdichtet­er Orchesters­atz über sie schwappen. Ohne Hörner geht hier nichts: Wotans „Leb wohl, du kühnes herrliches Kind“am Ende der „Walküre“funktionie­rt nur, wenn die Hörner zuvor ihren menschen- und klangumarm­enden Sextsprung wie ein Nebelhorn ins Publikum dröhnen. Und was dröhnen sie? Eine Abwandlung des Schlummer-Motivs.

Das Geniale im „Ring“ist, wie die Musik sich einem sagenhafte­n Stoff anschmiegt. Alle paar Minuten ist er Fall für das Strafgeset­zbuch. Dauernd zeigt er kaputte Familien. Und insgesamt beschreibt er eine gleichsam ballistisc­he Kurve vom Goldraub bis zur scheinbare­n Wiederhers­tellung des Urzustands. Der „Ring“ist ein Ring bleibt ein Ring. Hojotohoo!

 ?? FOTO: RABANUS ?? Edelmetall unter Guppies? Alberich sucht nach dem Gold, Woglinde versucht ihn mit maximaler Beinfreihe­it abzulenken. Szene aus Herbert Wernickes Münchner Inszenieru­ng von „Rheingold“aus dem Jahr 2002.
FOTO: RABANUS Edelmetall unter Guppies? Alberich sucht nach dem Gold, Woglinde versucht ihn mit maximaler Beinfreihe­it abzulenken. Szene aus Herbert Wernickes Münchner Inszenieru­ng von „Rheingold“aus dem Jahr 2002.

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