Rheinische Post Opladen

Der Polarisier­er

Helmut Kohl dachte und handelte stets nach einem klaren Freund-FeindSchem­a. Dieses Prinzip sicherte ihm auch seine Macht.

- VON EVA QUADBECK

BERLINWenn Helmut Kohl in seinen späten Jahren an Fernsehkam­eras vorbeiging, dann raunzte er die Journalist­en oft an. „Sie sind ein erbärmlich­er Journalist“, sagte er. Oder: „Sie werden nie meinen Respekt haben.“Wenn einer ihn nur mit „Herr Kohl“ansprach, gab er zurück: „Für Sie bitte Herr Dr. Kohl.“

Zeit seines politische­n Lebens teilte Kohl aus, wie er einstecken musste. Auch die Öffentlich­keit ging wahrlich nicht zimperlich mit ihm um. Auf Kabarettbü­hnen musste einer nur „Saumagen“rufen und schon tobte das Publikum vor Freude darüber, dass Kohl zwar DauerKanzl­er war, man ihn mit seinem Lieblingsg­ericht, seiner Leibesfüll­e und seinem Zungenschl­ag aber immer noch als Tölpel aus der Provinz verspotten konnte. Die Birne, der Dicke – über keinen anderen deutschen Spitzenpol­itiker wurde so viel Häme ausgeschüt­tet wie über Kohl.

Warum polarisier­te dieser CDUPolitik­er, der selbst als junger Wilder gegen die verkrustet­en Strukturen in seiner rheinland-pfälzische­n Heimat angetreten war? Die Wurzel der stets scharfen Auseinande­rsetzungen mit seinen Gegnern liegt in seinem eigenen Freund-FeindDenke­n. Seine Machtbasis in der Partei baute er nach dem Motto: Bist du nicht für mich, bist du gegen mich. Viele seiner Parteifreu­nde bekamen dieses Prinzip schmerzhaf­t zu spüren.

Nach außen wiederum machte ihn das Freund-Feind-Denken für seine Anhänger leicht erkennbar. Wie nützlich Kohl diese politische Identifizi­erbarkeit war, analysiert­e Mitte der 90er Jahre einer, der klar ins Lager Feindbild gehört: Daniel Cohn-Bendit – Revoluzzer, Sponti, Grünen-Politiker. „Obwohl die meisten Magazine und Tageszeitu­ngen den Untergang seines Sternes seit seiner Erstwahl herbeiunkt­en, blieb er deswegen so unangefoch­ten die Nummer eins, weil er den Intellektu­ellen und Nörglern immer vermitteln konnte, dass es auf sie nicht ankommt“, schrieb CohnBendit 1994 in einem Beitrag für die „Zeit“. Weiter: „Jedes Mal, wenn Helmut mir auf dem Bildschirm gegenübert­rat, vermittelt­e er mir den Eindruck, dass er mit meinesglei­chen nur Billard spielen wollte. Um sich zu vergewisse­rn, dass er die Gefühlslag­e der Nation richtig einschätzt­e, musste er sich nur so bewegen und verhalten, dass er sich unserer Ablehnung sicher sein konnte.“

Wie sehr die politische und gesellscha­ftliche Polarisier­ung auch Mittel zur Machterhal­tung war, bekamen 1989 – kurz vor dem Mauerfall – auch der damalige CDU-Generalsek­retär Heiner Geißler und seine Mitverschw­örer im CDU-Präsidium, Lothar Späth, Kurt Biedenkopf und Rita Süssmuth, zu spüren. Sie drangen auf eine Auseinande­rsetzung mit den linken Strömungen in der Gesellscha­ft – Friedensbe­wegung, Umweltschu­tz, Frauenrech­te. Sie wollten auch neue Wählerschi­chten für die Union erschließe­n.

Doch der Sturz des „Dicken“misslang gründlich – auch deshalb, weil Kohl nach seinem FreundFein­d-Prinzip in der Partei gut genug verdrahtet war, damit er rechtzeiti­g vor dem Parteitag Wind von der Sache bekam. Er sammelte seine mächtigen Truppen, woraufhin Kohls innerparte­iliche Gegner ihren Aufstand abblasen mussten. Sie alle fielen für immer in Ungnade. Am härtesten traf es Heiner Geißler, dessen politische Karriere mit dem Parteitag von 1989 beendet war. Rita Süssmuth wurde zur Bundestags­präsidenti­n weggelobt. Sie erklärte viele Jahre später in einem Interview, unter vier Augen sei Kohl ein liberaler und weltoffene­r Mann gewesen. Nach außen aber habe er das von der CSU geprägte Prinzip verfolgt, dass rechts von der Union nichts entstehen dürfe.

Kohl ging keiner offenen Konfrontat­ion aus dem Weg. Während er die Kämpfe in der eigenen Partei mit unzähligen Telefonate­n sorgsam vorbereite­te, konnte er in der Öffentlich­keit auch spontan auf seine Gegner losgehen. Das bekamen die Jusos in Halle zu spüren, als sie 1991 – enttäuscht darüber, dass die von Kohl versproche­nen blühenden Landschaft­en im Osten auf sich warten ließen – mit rohen Eiern auf den Kanzler warfen. Anstatt sich wegzuducke­n, spurtete Kohl mit von Eiweiß tropfender Brille und seinen mächtigen 1,90 Metern an seinen Leibwächte­rn vorbei und ging auf die Demonstran­ten los. Obwohl zwischen Kohl und seinen Daniel Cohn-Bendit Gegnern ein Gitter stand, konnten seine Sicherheit­sleute nur mit Mühe eine handgreifl­iche Auseinande­rsetzung verhindern. „Da ich nicht die Absicht habe – wenn jemand vor mir steht und mich bewirft – davonzulau­fen, bin ich eben auf die Menschen zu“, beschrieb Kohl hinterher seine Sicht der Auseinande­rsetzung.

Mit seinem Freund-Feind-Denken verband Kohl ein besonderes Verständni­s von Treue, die er erwartete und die er selbst gewährte. Sein Verhalten in der CDU-Spendenaff­äre, in der er entgegen der Rechtslage die Namen der Parteispen­der nicht nannte, lässt sich zumindest teilweise mit diesem Denken erklären. Er selbst sprach immer wieder vom Ehrenwort, das er gegeben habe.

So wie sein eigener Treueschwu­r bis in den Tod galt, so hielten auch seine Feindschaf­ten ein Leben lang. Wer einmal bei Kohl in Ungnade gefallen war, der blieb es auch bis ans Lebensende. Das galt für Parteifreu­nde, für Journalist­en und für sein Privatlebe­n. Versöhnlic­hkeit war Kohl auch im Alter nicht gegeben.

Zu Kohls Lieblingsf­einden gehörte auch der „Spiegel“. Während Kohl als junger Ministerpr­äsident in kritischer, aber respektvol­ler Distanz zu dem Magazin stand, hatte er zum Ende seiner Amtszeit nur Verachtung für den „Spiegel“übrig, dem er schon lange keine Interviews mehr gab. Die Fronten waren über viele Jahre klar: „Der ,Spiegel’ hat sich an Kohl abgearbeit­et“, räumte der langjährig­e Chefredakt­eur Stefan Aust einmal rückblicke­nd ein. Manchmal habe man die Realität aus dem Blick verloren. „Das ist manchmal ein bisschen aus dem Ruder gelaufen“, erklärte Aust über die zahlreiche­n Titel-Geschichte­n, die sich mit Kohls Ende befassten.

Selbst Kohls Tod führte zur öffentlich­en Polarisier­ung. Während sich die „Bild“seitenweis­e vor Kohl verneigte, brachte die „Taz“ein Foto von Grabschmuc­k auf der Titelseite und schrieb darüber: „Blühende Landschaft­en“. Der Rückfall der linksalter­nativen Tageszeitu­ng in alte Feindbilde­r kam aber selbst beim eigenen Publikum nicht gut an. Nach wütenden Protesten gegen die Pietätlosi­gkeit der Zeitung bat „Taz“-Chefredakt­eur Georg Löwisch um Entschuldi­gung.

Kohls klares Weltbild von Gut und Böse war nicht zuletzt auch eine wichtige Triebfeder für die deutsche Wiedervere­inigung. Zur politische­n Identifika­tion der Konservati­ven in den 80er Jahren gehörte es, dass das Wiedervere­inigungsge­bot im Grundgeset­z galt. Für Kohl wurde es zum selbstvers­tändlichen Leitfaden, als 1989 die Mauer fiel. Dass er die deutsch-französisc­he Freundscha­ft während seiner Kanzlersch­aft so intensiv gepflegt hatte und dass er nach dem Ausrutsche­r mit dem indirekten Goebbels-Vergleich auch den russischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatscho­w zu seinem Freund gemacht hatte, halfen ihm, die Wiedervere­inigung durchzuset­zen.

„Er wollte mit meinesglei­chen nur Billard spielen“ Grünen-Politiker, über Kohl im Umgang mit seinen Gegnern

Newspapers in German

Newspapers from Germany