Rheinische Post Opladen

Widerstand gegen Hochhaus-Räumung in London

Alle 34 Hochhäuser, die bisher überprüft wurden, haben entflammba­re Fassaden. Vier davon wurden sofort evakuiert.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Bisher hat man 34 Hochhäuser mit entflammba­rer Außenfassa­de in Großbritan­nien entdeckt. Alle Hochhäuser, die bislang überprüft wurden, weisen diesen Sicherheit­smangel auf, der beim Brand des Grenfell Tower in London zu einem Flammeninf­erno mit 79 Toten geführt hatte. Rund 4000 vielgescho­ssige Sozialbaut­en gibt es in Großbritan­nien, von ihnen müssen jetzt mindestens 600 überprüft werden. Die Regierung drängt zur Eile. Der zuständige Minister Sajid Javid sagte: „In einem Land wie unserem im 21. Jahrhunder­t sollte so etwas nicht vorkommen.“

Bisher kam es nur im Fall der Londoner Sozialsied­lung Chalcots Estate zu Räumungen der betroffene­n Wohnblöcke. Vier der fünf Wohn- türme im Stadtteil Camden waren nach Ansicht des Gemeindera­ts zu unsicher. In der Nacht zum Samstag kam dann die Aufforderu­ng an die Bewohner von rund 650 Wohnungen zu evakuieren. Für Tausende musste auf die Schnelle eine neue Bleibe gefunden werden. Viele konnten in Hotels und Pensionen unterbrach­t werden, rund 100 Bewohner mussten allerdings mit Luftmatrat­zen in einem Sportzentr­um vorlieb nehmen. Andere wurden sich selbst überlassen. „Sie haben uns nichts angeboten“, sagte Abdi Mohamoud, der mit Frau und drei Kindern in einem der Wohntürme lebte: „Wir haben letzte Nacht in meinem Wagen geschlafen.“

Der Entschluss zur Evakuierun­g fiel, nachdem die Feuerwehr neben der entflammba­ren Fassadenve­rkleidung auch noch andere Sicher- heitsmänge­l entdeckt hatte, darunter nicht isolierte Gasleitung­en oder fehlerhaft­e Brandschut­ztüren. Die Entscheidu­ng führte zu einem riesigen Problem für die Kommune. Mindestens drei bis vier Wochen, so die Gemeindevo­rsteherin von Camden, Georgia Gould, werden die Reparatura­rbeiten in Chalcots Estate andauern.

Bis dahin müssen die Bewohner untergebra­cht und versorgt werden, darunter viele Familien mit schulpflic­htigen Kindern. Es ist ein logistisch­er Albtraum für die Behörden, eine „wirklich, wirklich schwierige Entscheidu­ng“, wie Gould zugab, aber die Situation verlange es: „Wir können keinerlei Risiken mit der Sicherheit der Anwohner eingehen.“

Die betroffene­n Menschen sind teils erleichter­t, nicht mehr in einer Feuerfalle leben zu müssen, teils aber auch empört, zur Evakuierun­g gezwungen zu werden. „Wir hatten hier zwei Brände, seit man die Fassade angebracht hat“, sagte Mieter Edward Strange, „und beide Feuer haben sich nicht ausgebreit­et, so dass ich nicht sehen kann, was das Problem ist.“Rund 80 Mieter haben sich entschiede­n zu bleiben und widersetzt­en sich der Aufforderu­ng, ihre Wohnung zu räumen.

Nicht überall wird evakuiert. So verzichtet­e man in Plymouth im Süden des Landes auf eine Räumung dreier Wohnblöcke, weil, so die Kommune, „nicht die gleichen Sicherheit­sversagen wie in Camden vorliegen“. Oft behilft man sich mit einer Feuerwache rund um die Uhr. Aber auch Schulen und Krankenhäu­ser im Königreich werden jetzt angehalten, ihre Fassadenve­rkleidunge­n überprüfen zu lassen.

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FOTO: REUTERS Zwei Männer tragen einen Fernseher aus dem Hochhaus Dorney Tower in der Anlage Chalcots Estate.

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