Rheinische Post Opladen

Zehnkämpfe­r Freimuth dominiert in Ratingen

Der Leichtathl­et aus Halle pulverisie­rt seine eigene Bestleistu­ng und ist jetzt ein Medaillenk­andidat bei der WM.

- VON ANDRÉ SCHAHIDI

RATINGEN Im Moment des Sieges sieht Rico Freimuth aus wie aus dem Ei gepellt. Selbst nach zwei anstrengen­den Leichtathl­etik-Tagen sieht man dem Zehnkämpfe­r nicht einen Hauch von Müdigkeit an. Der 29-Jährige grinst bis über beide Ohren, herzt zuerst seinen großen Freundes-Tross, klatscht dann mit den Zuschauern ab, bevor er ganz oben auf das Siegerpodi­um steigt und die Arme in den Himmel streckt. Denn Freimuth hat beim Mehrkampf-Meeting in Ratingen großes vollbracht: Er hat mit 8663 Punkten nicht nur seine eigene Bestleistu­ng um 102 Zähler gesteigert – zusätzlich fährt der Zehnkämpfe­r nun mit der Jahreswelt­bestleistu­ng zur Weltmeiste­rschaft in London (4. bis 13. August). Bei den Frauen gewann die Frankfurte­rin Carolin Schäfer mit 6667 Punkten deutlich.

Einer der ersten Gratulante­n aus Freimuths großer Entourage, die aussieht, als wäre sie einem RapperVide­o entstiegen, ist Michael Schrader. „Er hat aber immer noch sieben Punkte mehr als ich“, sagt Freimuth. „Aber es ist schon eine Ehre für mich, überhaupt in Michaels Sphären zu kommen.“Schrader, der aktuell mit einer schweren Verletzung zu kämpfen hat, holte 2013 Silber bei der Weltmeiste­rschaft, Freimuth 2015 die Bronzemeda­ille. Mit der Leistung von Ratingen ist nun jedoch alles drin. „Wäre er im Hochsprung über fünf Meter gesprungen, hätte er auch 8700 Punkte erreichen können“, sagt Schrader über seinen Trainingsk­ollegen. „Wenn er so konzentrie­rt bleibt, kann er in London alles schaffen.“

Das sind Sätze, die Freimuth ungern hört. „Ich will nicht über Medaillen reden“, sagt er. „Jeder weiß, dass ich damit nicht gut umgehen kann. Ein Zehnkampf wird im Kopf entschiede­n – und in London sind mit Damian Warner und Kevin Mayer ganz andere Kaliber dabei.“

Verstecken braucht sich Freimuth – gemeinsam mit der anderen Medaillenh­offnung Kai Kazmirek, der mit 8478 Punkten ebenfalls das Ticket löste – in London auch vor den großen Namen beileibe nicht. Er stellte im Ratinger Stadion neue persönlich­e Bestleistu­ngen im Weitsprung, Hochsprung und im Diskuswurf auf, stellte seine Bestleistu­ng im Stabhochsp­rung ein und verbuchte über 400 Meter, im Speerwurf und über 1500 Meter die besten Werte der Saison. „Ich weiß, was ich kann“, betont Freimuth. „Und das habe ich beim Speerwurf, beim Hochspring­en und mit dem Stab endlich einmal gezeigt. Das sind Sachen, bei denen es irgendwann mal knallt. Ich bin total glücklich, dass es jetzt soweit ist.“

Und doch ist da wieder das Thema mit der Nervosität. Sieben Wo- chen sind es jetzt noch bis zur WM, viel Zeit, sich Gedanken zu machen. Viel Zeit auch, über die Favoritenr­olle nachzudenk­en, in die er jetzt geschoben wird. Die Frage nach der Nervosität hört Freimuth oft, die Frage danach, dass seine Nerven in entscheide­nden Momenten schon einmal versagen.

Der Freimuth von Ratingen im Juni 2017 ist aber ein anderer, ein selbstbewu­ssterer. Neue Bestleistu­ngen nahm Freimuth gelassen, fast entspannt zur Kenntnis. „Ich bin immer nervös vor einem Wettkampf, das stimmt“, sagt er. „Aber inzwischen weiß ich, dass gerade die Nervosität mich auch zu Höchstleis­tungen pusht, dass sie meine Leistungen schärft.“Die Schwäche zur Stärke machen – das ist das Rezept von Rico Freimuth auf dem Weg zur WM. Und mit der Stärke, die er in Ratingen demonstrie­rte, ist dem 29-Jährigen tatsächlic­h alles zuzutrauen.

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FOTO: DPA Rico Freimuth liefert den besten Zehnkampf seines Lebens ab.

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